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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Kusine kam. Sie hätte Hazels Lockenwickler genommen und sich die Haare aufgedreht, wenn sie sicher gewesen wäre, dass ihre Großmutter nichts davon merkte.
    Ihre Großmutter machte die Tür zum Vorderzimmer zu, wo Hazel schlief. Sie leerte die Kaffeekanne und tat Wasser und frischen Kaffee hinein. Sie holte einen Krug mit Milch aus dem Kühlschrank, roch daran, um zu prüfen, ob sie noch gut war, und holte mit ihrem Löffel zwei Ameisen aus der Zuckerdose. Sie drehte sich mit ihrer kleinen Maschine eine Zigarette. Dann setzte sie sich an den Tisch und las die Zeitung von gestern. Sie sprach kein Wort mit May, bis der Kaffee durchgelaufen war, sie das Feuer gedrosselt hatte und das Zimmer fast taghell war.
    »Hol dir eine Tasse, wenn du welchen willst«, sagte sie.
    Normalerweise sagte sie, dass May noch zu klein war, um Kaffee zu trinken. May holte sich eine gute Tasse mit grünen Vögeln drauf. Ihre Großmutter sagte nichts dazu. Sie saßen am Tisch und tranken Kaffee, May in ihrem langen Nachthemd fühlte sich privilegiert und unbehaglich. Ihre Großmutter blickte sich in der Küche mit den fleckigen Wänden und Kalendern um, als müsse sie alles im Auge behalten; sie schaute geistesabwesend und ein wenig listig drein.
    May sagte als Gesprächsangebot: »Eunie Parker bekommt heute Besuch von ihrer Kusine. Die heißt Heather Sue Murray.«
    Ihre Großmutter ging überhaupt nicht darauf ein. Doch dann fragte sie: »Weißt du, wie alt ich bin?«
    »Nein«, antwortete May.
    »Na, rate mal.«
    May dachte nach und sagte: »Siebzig?«
    Ihre Großmutter gab so lange keine Antwort, dass Mary dachte, dies sei nur wieder eine ihrer Gesprächssackgassen. Sie verkündete: »Diese Heather Sue Murray tanzt schottische Tänze, seit sie drei Jahre alt ist. Sie nimmt sogar an Wettbewerben teil.«
    »Achtundsiebzig«, sagte ihre Großmutter. »Keiner weiß das, hab’s nie gesagt. Keine Geburtsurkunde. Hab nie Rente beantragt. Nie Sozialhilfe.« Sie überlegte eine Weile und sagte: »War nie im Krankenhaus. Hab genug auf der Bank für die Beerdigung. Ein Grabstein muss von der Wohlfahrt kommen oder vom schlechten Gewissen meiner Verwandten.«
    »Wozu willst du denn einen Grabstein haben?«, fragte May missmutig und polkte an einer durchgescheuerten Stelle der Wachstuchdecke. Sie mochte dieses Gespräch nicht; es erinnerte sie an einen ziemlich bösen Streich, den ihre Großmutter ihr vor ungefähr drei Jahren gespielt hatte. Sie war von der Schule nach Hause gekommen und fand ihre Großmutter auf derselben Couch im Hinterzimmer vor, auf der sie jetzt schlief. Ihre Großmutter lag da, die Hände an der Seite, das Gesicht von der Farbe saurer Milch, die Augen geschlossen, mit einem Ausdruck reiner und unangreifbarer Gleichgültigkeit. May hatte mit ihrermehr oder weniger normalen Stimme erst »Hallo« und dann »Oma« zu ihr gesagt; auf deren sonst lebhaftem und bewegtem Gesicht rührte sich nichts. May sagte noch einmal respektvoller »Oma«, und als sie sich vorbeugte, hörte sie nicht den leisesten Atem. Sie streckte die Hand aus, um die Wange ihrer Großmutter zu berühren, wurde aber von etwas Fernem und Beunruhigendem in dieser kalten, verfallenen Höhlung daran gehindert. Dann fing sie an zu weinen, in der ängstlichen, ratlosen Art von jemandem, der weiß, dass niemand da ist, ihn zu hören. Sie hatte Angst, ihre Großmutter noch einmal anzureden; sie hatte Angst, sie anzufassen, und gleichzeitig Angst, sie aus den Augen zu lassen. Doch dann schlug ihre Großmutter die Augen auf. Ohne die Arme zu heben oder den Kopf zu bewegen sah sie zu May auf mit einer gespielten, widerlichen Unschuld und einem seltsamen Aufblitzen von Triumph. »Kann man sich hier nicht mal hinlegen?«, sagte sie. »Schäm dich, so eine Heulsuse zu sein.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich einen will«, sagte ihre Großmutter. »Geh und zieh dir was an«, sagte sie kalt, als May versuchsweise eine Schulter durch den weiten Halsausschnitt ihres Nachthemdes schob. »Außer du hältst dich für eine dieser Königinnen von Ägypten.«
    »Was?«, sagte May und betrachtete die Schulter, auf der sich Sonnenbrand in hässlichen Flecken schälte.
    »Na, eine dieser Königinnen von Ägypten, die sie auf dem Jahrmarkt in Kinkaid haben sollen.«
    Als May wieder in die Küche kam, trank ihre Großmutter immer noch Kaffee und studierte die Heiratsannoncen in der städtischen Zeitung, als hätte sie keinen Laden aufzumachen, kein Frühstück zu bereiten und den ganzen

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