Tanz der seligen Geister (German Edition)
reden«, sagte sie. »May, leg noch ein bisschen Holz aufs Feuer, und ich brate uns etwas Schinken. Ich will den Herd heute nicht länger als nötig brennen haben.«
»Heute wird’s heißer als gestern«, sagte Hazel zufrieden. »Ich hab mit Lois eine Abmachung, keine Strümpfe zu tragen. Wenn Mr. Peebles auch nur einenTon sagt, werden wir sagen, was meinen Sie, wofür Sie hier angestellt sind, rumgehen und andrer Leute Beine betrachten? Dann wird er verlegen«, sagte sie. Ihr gebleichter Kopf verschwand mit einem einsamen Kichern wie dem Ton einer Glocke, die aus Versehen kurz angeschlagen wurde und gleich darauf verstummt, im Rock ihres Kleides.
»Haha«, sagte die alte Frau.
May und Eunie Parker und Heather Sue Murray saßen am Nachmittag auf der Stufe zum Laden. Der Himmel hatte sich gegen Mittag bewölkt, aber danach schien der Tag noch heißer zu werden. Keine Grille, kein Vogel ließ sich hören, aber am Boden ging ein Wind; ein heißer Wind kam durchs Gras gekrochen. Weil es Samstag war, hielt kaum jemand am Laden; die Autos aus der Gegend fuhren vorbei, in die Stadt.
Heather Sue fragte: »Fahrt ihr nie per Anhalter?«
»Nein«, sagte May.
Eunie Parker, seit zwei Jahren ihre beste Freundin, sagte: »Ach, May darf doch so was nicht. Du kennst ihre Großmutter nicht. Sie darf gar nichts.«
May scharrte mit den Füßen im Staub und grub den Absatz in einen Ameisenhügel. »Du auch nicht«, sagte sie.
»Darf ich doch«, sagte Eunie. »Ich kann tun, was ich mag.« Heather Sue betrachtete die beiden ein wenigratlos und fragte: »Was gibt es denn hier zu tun? Ich meine, was tut ihr denn so?«
Ihre Haare waren rund um ihren Kopf kurz geschnitten; sie waren kräftig, schwarz und lockig. Sie hatte Lippenstift der Farbe »Zuckerapfel« aufgelegt, und es sah so aus, als rasierte sie sich die Beine.
»Wir gehen auf den Friedhof«, sagte May entschieden. Das taten sie wirklich. Sie saßen fast jeden Nachmittag auf dem Friedhof, weil es da einen schattigen Winkel gab und keine kleineren Kinder sie behelligten und sie spintisieren konnten, ohne dass jemand sie belauschte.
»Ihr geht wohin ?«, fragte Heather Sue, und Eunie, die finster in den Staub zu ihren Füßen starrte, sagte: »Nein, tun wir nicht. Ich hasse diesen blöden Friedhof.« Manchmal hatten May und sie einen ganzen Nachmittag damit zugebracht, die Grabsteine zu betrachten, Namen auszusuchen, die sie interessant fanden, und sich Geschichten über die Leute auszudenken, die da begraben lagen.
»Hört auf, da kriege ich ja Gänsehaut«, sagte Heather Sue. »Ist es nicht schrecklich heiß? Wenn ich heute Nachmittag zu Hause wäre, würde ich mit meiner Freundin ins Schwimmbad gehen.«
»Wir können bei Third Bridge baden gehen«, sagte Eunie.
»Wo ist das?«
»Die Straße runter, gar nicht weit. Eine halbe Meile.«
»In dieser Hitze?«, sagte Heather Sue.
Eunie sagte: »Ich nehm dich auf meinem Fahrrad mit.« Zu May sagte sie mit übertrieben fröhlicher und einladender Stimme: »Hol du auch dein Fahrrad, komm.«
May überlegte kurz, stand dann auf und ging in den Laden, der tagsüber immer dunkel war, auch heiß, mit einer großen hölzernen Uhr an der Wand und Kästen voll süßer, zerbröselnder Kekse, weicher Apfelsinen und Zwiebeln. Sie ging nach hinten, wo ihre Großmutter auf einem Hocker neben der Eiscremetruhe saß, unter einem großen Backpulverschild, das einen Hintergrund aus glitzernder Folie hatte, wie eine Weihnachtskarte.
May fragte: »Darf ich mit Eunie und Heather Sue baden gehen?«
»Wo wollt ihr baden gehen?«, fragte ihre Großmutter fast neutral. Sie wusste, dass es nur eine einzige mögliche Stelle gab.
»Third Bridge.«
Eunie und Heather Sue waren hereingekommen und standen an der Tür. Heather Sue lächelte taktvoll und höflich in Richtung der alten Frau.
»Nein, darfst du nicht.«
»Da ist es nicht tief«, sagte May.
Ihre Großmutter brummte unklar. Sie saß vornübergebeugt, den Ellbogen auf dem Knie, das Kinn in die Hand gestützt. Sie machte sich nicht die Mühe, aufzuschauen.
»Warum darf ich nicht?«, fragte May hartnäckig.
Ihre Großmutter antwortete nicht. Eunie und Heather Sue schauten von der Tür zu.
»Warum darf ich nicht?«, fragte sie wieder. » Oma, warum darf ich nicht?«
»Du weißt, warum.«
»Warum?«
»Weil da alle Jungs hingehen. Ich hab’s dir schon mal gesagt. Du wirst zu groß dafür.« Ihr Mund schloss sich hart; ihr Gesicht nahm eine starre Miene hässlicher und zufriedener
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