Tanz der seligen Geister (German Edition)
Tag lang nichts zu tun. Hazel war aufgestanden und bügelte ein Kleid, das sie zur Arbeit tragen wollte. Sie arbeitete in einem Geschäft im dreißig Meilen weit entfernten Kinkaid, und sie musste früh zur Arbeit aufbrechen. Sie versuchte ihre Mutter dazu zu überreden, den Laden zu verkaufen und nach Kinkaid zu ziehen, wo es zwei Kinos gab, viele Geschäfte und Restaurants und den Königlichen Tanzpalast; aber die alte Frau wollte nicht weg. Sie sagte, Hazel solle doch wegziehen, wohin es ihr gefiel, aber aus irgendeinem Grund blieb Hazel da. Sie war eine große Frau von dreiunddreißig Jahren, mit hängenden Schultern, gebleichten Haaren und einem langen, verschlossenen Gesicht mit schiefem, missmutigem Ausdruck, der durch ein leichtes Schielen, das eigensinnige Abirren eines Auges, noch verstärkt wurde. Sie besaß eine Truhe voll mit bestickten Kissenbezügen, Handtüchern und silbernem Besteck. Sie hatte ein Service und einen Satz Töpfe mit Kupferböden gekauft und in ihrer Truhe verstaut; doch sie und die alte Frau und May aßen weiterhin von angeschlagenen Tellern und kochten in Töpfen, die so verbeult waren, dass sie auf dem Herd schaukelten.
»Hazel hat alles, was sie braucht, um zu heiraten, ihr fehlt nur das eine«, pflegte die alte Frau zu sagen.
Hazel fuhr mit anderen jungen Frauen, die in Kinkaid arbeiteten oder an der Schule unterrichteten, in der ganzen Gegend zu Tanzabenden. Am Sonntagmorgen stand sie verkatert auf und trank Kaffee mit Aspirin, zog ihr seidenes Kleid an und fuhr die Straße hinunter, um im Kirchenchor zu singen. Ihre Mutter, die sagte, sie habe keinen Glauben, machte den Laden auf und verkaufte Benzin und Eiscreme an Touristen.
Hazel stand gähnend über das Bügelbrett gebeugt und rieb sich das verschlafene Gesicht, während die alte Frau vorlas: »Großer arbeitsamer Mann, fünfunddreißig Jahre alt, möchte die Bekanntschaft einer Frau mit gutem Lebenswandel machen, die nicht raucht oder trinkt und häuslich ist, bitte nichts Unseriöses.«
»Ach, Mama«, sagte Hazel.
»Was ist Unseriöses?«, fragte May.
»Mann in den besten Jahren«, las die alte Frau unerbittlich vor, »wünscht Freundschaft mit gesunder Frau ohne Beschwernisse, erwartet ersten Brief mit Foto.«
»Ach, hör schon auf, Mama«, sagte Hazel.
»Was sind Beschwernisse?«, fragte May.
»Wenn ich tatsächlich heirate, was wird dann aus dir?«, sagte Hazel düster mit einem Ausdruck gereizter Befriedigung im Gesicht.
»Von mir aus kannst du jederzeit heiraten.«
»Ich habe dich und May.«
»Was redest du.«
»Ist doch wahr.«
»Was redest du«, sagte die alte Frau angewidert. »Ich sorge schon für mich selbst. Hab ich immer getan.« Sie wollte noch wesentlich mehr sagen, denn diese Schilderung war ein Wegweiser in ihrem Leben, aber kaum hatte sie energisch ihr Bild von allem zusammengebracht, das so lebhaft und schlicht gefärbt war wie die Buntstiftzeichnung eines Kindes und ebensolche magischen Verzerrungen aufwies, da schloss sie die Augen, als bedrückte sie ein Gefühl von Unwirklichkeit, ein begründeter Zweifel daran, dass irgendetwas davon je existiert hatte. Sie pochte mit ihrem Löffel auf den Tisch und sagte zu Hazel: »Du hattest bestimmt noch nie so einen Traum wie ich gestern Nacht.«
»Ich träume sowieso nie«, sagte Hazel.
Die alte Frau pochte mit dem Löffel und sah konzentriert ins Nichts vor dem Herd.
»Träumte, ich ging die Straße runter«, sagte sie. »Ging die Straße runter bei den Simmons vorbei, und mir war, als schob sich eine Wolke vor die Sonne, mirwar kalt. Also sah ich hoch, und da war ein großer Vogel, so einen großen Vogel hast du noch nie gesehen, schwarz wie die Herdplatte da drüben, direkt über mir, zwischen mir und der Sonne. Hast du so was schon mal geträumt?«
»Ich träume nie was«, sagte Hazel voll Stolz.
»Weißt du noch den Albtraum, den ich hatte, als ich nach den Masern im Vorderzimmer geschlafen habe?«, fragte May. »Weißt du den noch?«
»Ich rede nicht von Albträumen«, sagte die alte Frau.
»Ich dachte, Leute mit bunten Hüten waren da, und die liefen in dem Zimmer im Kreis. Schneller und schneller, so dass ihre Hüte verschwammen. Alles andere von ihnen war unsichtbar, nur die bunten Hüte nicht, die sie aufhatten.«
Ihre Großmutter streckte die Zunge heraus, um ein paar Tabakkrümel abzulecken, die an ihren Lippen klebten, dann stand sie auf, hob die Herdringe und spuckte ins Feuer. »Ich kann ebenso gut mit einer Scheunenwand
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