Tanz der seligen Geister (German Edition)
wichtig vorzukommen. (Erst Jahre später sprach jemand wieder in diesem Tonfall mit mir, auf der Entbindungsstation.) »Jetzt trink«, sagte sie. Ich trank und merkte gleichzeitig, dass ich nur mein Höschen anhatte. Joyce und Kay hatten mir die Bluse und den Rock ausgezogen. Den Rock hatten sie ausgebürstet und die Bluse, da sie aus Nylon war, gewaschen; sie hing im Badezimmer. Ich zog die Tagesdecke bis unter die Achseln hoch, und Kay lachte. Sie versorgte allemit Kaffee. Joyce brachte die Kaffeekanne herein, und auf Kays Anweisungen hin goss sie jedes Mal, wenn ich einen Schluck getrunken hatte, meinen Becher wieder voll. Jemand sagte interessiert zu mir: »Du musst dir ja die Hucke vollgesoffen haben.«
»Nein«, sagte ich ziemlich patzig und trank gehorsam meinen Kaffee. »Es waren nur zwei Glas.«
Kay lachte: »Das haut bei dir aber rein, das muss man dir lassen. Um welche Zeit erwartest du die Leute zurück?«, fragte sie.
»Spät. Nach eins, nehm ich an.«
»Bis dahin müsstest du wieder auf den Beinen sein. Trink noch Kaffee.«
Kay fing an, mit einem der Jungen zur Radiomusik zu tanzen. Sie tanzte sehr sinnlich, aber ihr Gesicht hatte denselben sanft überlegenen und nachsichtigen, ziemlich kalten Ausdruck, den es trug, als sie mich aufrichtete, damit ich Kaffee trank. Der Junge flüsterte ihr etwas zu, sie lächelte und schüttelte den Kopf. Joyce sagte, sie habe Hunger, und ging in die Küche, um zu schauen, ob etwas da war – Kartoffelchips, Cracker oder so etwas, das man essen konnte, ohne eine auffällige Lücke zu hinterlassen. Bill Kline kam, setzte sich neben mich aufs Sofa und tätschelte durch die Häkeldecke meine Beine. Er sagte nichts, tätschelte nur meine Beine und sah mich mit einem Gesichtsausdruck an, der auf mich sehr dumm, halb krank, absurdund beängstigend wirkte. Ich fühlte mich sehr unbehaglich; ich fragte mich, wie je das Gerücht entstehen konnte, Bill Kline sei so gutaussehend, bei diesem Gesichtsausdruck. Ich bewegte nervös die Beine, worauf er mir einen verächtlichen Blick zuwarf, aber nicht aufhörte, mich zu tätscheln. Dann rappelte ich mich vom Sofa auf und zog die Decke um mich, mit der Absicht, ins Bad zu gehen und nachzusehen, ob meine Bluse schon trocken war. Beim ersten Schritt torkelte ich ein bisschen, und aus irgendeinem Grund – wahrscheinlich, um Bill Kline zu zeigen, dass er mich nicht in Panik versetzt hatte – übertrieb ich das sofort und rief: »Schaut mal, wie ich geradeaus gehe!« Ich taumelte und stolperte unter allgemeinem Gelächter zur Diele. Ich stand gerade in dem Durchgang zwischen Wohnzimmer und Diele, da drehte sich mit leisem bösen Klicken der Knauf der Haustür, alles hinter mir verstummte, bis auf das Radio natürlich, die gehäkelte Tagesdecke, einem eigenen boshaften Impuls folgend, glitt herunter um meine Füße, und in der Tür – oh, köstlicher Augenblick in einem gut inszenierten Schwank! – in der Tür standen die Berrymans, Mr. und Mrs., mit einem Ausdruck auf den Gesichtern, dem Anlass so angemessen, wie es sich jeder altmodische Lustspielregisseur nur wünschen konnte. Sie mussten diesen Gesichtsausdruck allerdings schon vorher aufgesetzt haben, nicht erst im Augenblick des Schocks;bei dem Krach, den wir machten, mussten sie uns schon gehört haben, als sie aus dem Auto stiegen; aus demselben Grund hatten wir sie nicht kommen hören. Ich habe, glaube ich, nie erfahren, was sie so früh nach Hause führte – Kopfschmerzen, ein Streit –, und ich konnte sie in meiner Situation schlecht fragen.
Mr. Berryman fuhr mich nach Hause. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich in das Auto gekommen bin oder wie ich meine Sachen fand und sie anzog oder wie ich mich, wenn überhaupt, von Mrs. Berryman verabschiedete. Ich kann mich auch nicht erinnern, was mit meinen Freunden wurde, auch wenn ich vermute, dass sie sich ihre Mäntel griffen und flohen, wobei sie die Schande ihres Aufbruchs mit einem trotzigen Aufheulen des Motors überdeckten. Ich erinnere mich, wie Joyce mit einer Schachtel Cracker in der Hand sagte, dass mir von etwas, das ich zu Abend gegessen hatte – ich glaube, sie sagte Sauerkraut –, fürchterlich schlecht geworden war und dass ich sie und ihre Freunde zu Hilfe gerufen hatte. (Als ich sie später fragte, ob sie ihr das abgenommen hatten, sagte sie: »Es war sinnlos. Du hattest eine Riesenfahne.«) Ich erinnere mich auch noch, wie sie sagte: »Ach, nein, Mr. Berryman, ich flehe Sie an, meine Mutter
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