Tanz der seligen Geister (German Edition)
hörte, und von denen sie nicht einmal die Hälfte mitbekam; weil nämlich Leona in ihrer Küche hockte und von Patricia laberte. Leona nähte so ein Western-Kostüm für Patricia auf Allies Nähmaschine; sie trieb die Maschine heftig voran und zog den Faden gerade heraus, damit er riss, statt ihn nach hinten zu ziehen, obwohl Allie ihr gesagt hatte, bitte mach das nicht, dann kann die Nadel abbrechen. Patricia brauchte das Kostüm noch für den Abend, für das Konzert oben im Tal; sie sang Country-Songs. Patricia trat mitden Maitland Valley Entertainers auf, die überall im Land auf Konzerten und Tanzveranstaltungen spielten. Sie wurde als das Engelchen vom Maitlandtal vorgestellt, als das winzige Blondchen mit der Riesenstimme. Und sie hatte wirklich eine laute Stimme, fast erschreckend bei einem so zarten Kind. Leona ließ sie vor Publikum singen, seit sie drei Jahre alt war.
Angst hat sie nie gekannt, sagte Leona und beugte sich wieder über die Maschine, auf der Bühne stehen ist für sie was ganz Natürliches. Leonas Morgenrock hatte sich geöffnet und gab ihren mageren Oberkörper frei, die welken Brüste mit den dicken blauen Adern, die in dem graurosa Nachthemd verschwanden. Patricia ist das egal, der König von England könnte ihr zuschauen, sie würde aufstehen und singen, und wenn sie damit fertig wäre, würde sie sich wieder hinsetzen, so ist sie eben. Sie hat für eine Sängerin sogar einen guten Namen, Patricia Parry, klingt der nicht, als wäre er gerade im Radio angesagt worden? Noch ein Vorteil sind ihre echten blonden Haare. Ich muss sie jeden Abend ihres Lebens auf Wickler drehen, aber Naturblond ist viel seltener als Naturlocken. Es dunkelt auch nicht nach, in meiner Familie gibt es dieses Blond, das nicht nachdunkelt. Meine Kusine, von der ich erzählt habe, die 1936 die Miss-Wahl von St. Catharines gewonnen hat, die war so eine Blondine, und meine verstorbene Tante …)
Allie McGee sagte also nichts, und Leona holte tief Luft und redete weiter: Höchstens zwanzig Minuten. Und das Letzte, was ich zu ihr gesagt habe, als ich zur Tür raus bin, das war, gib auf die Kinder acht! Sie ist schließlich neun Jahre alt. Ich geh nur über die Straße, das Kostüm fertig nähen, und du gib auf die Kinder acht. Und ich bin zur Tür raus und die Treppe runter und durch den Garten, und als ich die Pforte aufgehakt habe, da hat mich was aufgehalten, ich dachte, irgendwas stimmt nicht ! Aber was, habe ich mich gefragt. Ich stand da und schaute mir den Garten an, aber da war nichts zu sehen, nur die dürren Maisstengel und die erfrorenen Kohlköpfe, die wir dies Jahr nicht geerntet haben, und ich schaute die Straße rauf und runter, aber da war nichts zu sehen, nur Mundys alter Jagdhund, der draußen vorm Haus lag, Autos kamen keine und alle Gärten waren leer, war wohl zu kalt, jedenfalls spielten keine Kinder draußen … Und ich dachte, mein Gott, bring ich jetzt was durcheinander und heute ist gar nicht Samstagmorgen, sondern ein besonderer Tag, den ich vergessen habe … Dann hab ich gedacht, das ist nur der Schnee, der kommt, ich konnte ihn in der Luft spüren, und ihr wisst ja, wie kalt es war, die Pfützen auf der Straße waren alle gefroren und zersplittert – aber es hat dann doch nicht geschneit, bis heute nicht … Und ich renne über die Straße zu den McGees und die Stufen rauf, und Alliesagt, Leona, was ist denn mit dir, du siehst ja ganz weiß aus, sagt sie …
Allie McGee hörte auch das und sagte nichts, denn das war nicht der richtige Zeitpunkt für Genauigkeit. Leonas Stimme hatte sich immer höher geschraubt und konnte jederzeit loskreischen: Das Mädel soll mir bloß nicht nahe kommen, ich will sie nicht sehen, sie soll mir ja nicht unter die Augen kommen.
Dann scharten sich die Frauen in der Küche um das Sofa, ihre unförmigen Leiber verschwammen im Halbdunkel, ihre bleichen, schweren Gesichter, erstarrt zu Masken der Trauer und des Mitleids, schwebten über ihr. Jetzt leg dich hin, sagten sie, im gemessenen Tonfall rituellen Trostes. Leg dich hin, Leona, sie ist nicht hier, alles in Ordnung.
Und das Mädchen von der Heilsarmee sagte mit ihrer sanften, gleichbleibenden Stimme: Sie müssen ihr verzeihen, Mrs. Parry, sie ist ja noch ein Kind. Manchmal sagte das Heilsarmee-Mädchen auch: Es ist Gottes Wille, wir verstehen es nicht. Die andere Frau von der Heilsarmee, die älter war, mit fettigem, bleichem Gesicht und einer fast männlichen Stimme, sagte: Im Garten des Himmels
Weitere Kostenlose Bücher