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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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flüstern.
    George flüsterte: Ist Benny immer noch im Krankenhaus?
    Ja, sagte Patricia kurz.
    Wird er sterben?
    Ich hab dir schon hundert Mal gesagt, nein.
    Wird er?
    Nein! Nur seine Haut ist verbrannt. Innen ist er nicht verbrannt. Er wird ja nicht an ein bisschen verbrannter Haut sterben. Red nicht so laut.
    Irene drehte den Kopf ins Kissen.
    Was hast du?, fragte Patricia.
    Er hat schrecklich geschrien, sagte Irene mit dem Gesicht im Kissen.
    Es hat weh getan, deshalb hat er geschrien. Als sie ihn ins Krankenhaus gebracht haben, da haben sie ihm was gegeben, damit es nicht mehr weh tut.
    Woher weißt du das?, fragte George.
    Ich weiß es eben.
    Sie schwiegen eine Weile lang, dann sagte Patricia: Ich hab noch nie im Leben davon gehört, dass jemand an verbrannter Haut gestorben ist. Die ganze Haut kann verbrannt sein, das macht nichts, die wächst wieder nach. Irene, hör auf zu weinen, oder ich hau dich.
    Patricia lag still und sah zur Decke hoch, ihr scharfes Profil hob sich weiß ab von den zartlila Seidenvorhängen in Mrs. McGees Gästezimmer.
    Zum Frühstück bekamen sie Grapefruit, die sie, soweit sie sich erinnern konnten, noch nie gegessen hatten, und Cornflakes und Toast und Marmelade. Patricia passte auf George und Irene auf und herrschte sie an: Sag bitte! Sag danke! Zu Mr. und Mrs. McGee sagte sie: Was für ein kalter Tag, es würde mich gar nicht wundern, wenn es heute schneit, meinen Sie nicht auch?
    Aber die antworteten nicht. Mrs. McGees Gesicht war geschwollen. Nach dem Frühstück sagte sie: Steht nicht auf, Kinder, hört mal zu. Euer kleiner Bruder …
    Irene fing an zu weinen, daraufhin weinte auch George; schluchzend, triumphierend sagte er zu Patricia: Er ist doch gestorben, ist er doch! Patricia antwortete nicht. Sie ist schuld, schluchzte George, und Mrs. McGee sagte: Aber nein, aber nein! Doch Patricia saß still, mit wachsamem und höflichem Gesicht. Sie sagte nichts, bis das Weinen sich ein bisschen gelegt hatte und Mrs. McGee seufzend aufstand, um den Tisch abzuräumen. Da bot Patricia an, ihr beim Abwaschen zu helfen.
    Mrs. McGee nahm sie mit ins Stadtzentrum, um ihnen neue Schuhe für die Beerdigung zu kaufen. Patricia durfte nicht mit auf die Beerdigung, weil Leona sagte, sie wollte sie ihr Lebtag lang nie mehr wiedersehen, aber sie sollte auch neue Schuhe bekommen; es wäre lieblos gewesen, sie auszuschließen. Mrs. McGee ging mit ihnen in das Schuhgeschäft, wies sie an, sich hinzusetzen, und erklärte dem Ladenbesitzer die Situation; sie standen zusammen, nickten und flüsterten ernst. Der Mann sagte, sie sollten die Schuhe und die Strümpfe ausziehen. George und Irene taten es und streckten die Füße aus, mitsamt den schwarzen, schmutzverkrusteten Zehennägeln. Patricia flüsterte Mrs. McGee zu, dass sie auf die Toilette musste, und Mrs. McGee sagte ihr, wo sie war, ganz hinten im Geschäft, und Patricia ging dorthin und zog die Schuhe und die Strümpfe aus. Sie wusch sich die Füße so sauber, wie es mit kaltem Wasser und Papiertüchern ging. Als sie zurückkam, hörte sie Mrs. McGee leisezum Ladenbesitzer sagen: Sie hätten mal die Bettwäsche sehen sollen, in der die geschlafen haben. Patricia ging an ihnen vorbei und tat, als hätte sie nichts gehört.
    Irene und George bekamen Schnürschuhe, und Patricia bekam welche, die sie selbst ausgesucht hatte, mit einem Riemchen quer drüber. Sie betrachtete sie in dem Bodenspiegel. Sie ging hin und her und betrachtete sie, bis Mrs. McGee sagte: Patricia, jetzt ist es aber gut mit den Schuhen! Nicht zu fassen, zischte sie dem Ladenbesitzer zu, als sie das Geschäft verließen.
    Als die Beerdigung vorbei war, gingen sie nach Hause. Die Frauen hatten im Haus sauber gemacht und Bennys Sachen weggeräumt. Ihrem Vater war im Schuppen von dem vielen Bier nach der Beerdigung schlecht geworden, und er blieb vom Haus weg. Ihre Mutter war zu Bett gebracht worden. Da blieb sie drei Tage lang, und die Schwester ihres Vaters sah nach dem Haus.
    Leona sagte, sie sollten Patricia ja nicht in ihre Nähe lassen. Lasst sie nicht hier raufkommen, schrie sie, ich will sie nicht sehen, ich habe meinen Kleinen nicht vergessen. Aber Patricia versuchte gar nicht, nach oben zu gehen. Sie scherte sich gar nicht darum; sie sah sich Filmillustrierte an und drehte ihre Haare auf Wickler. Wenn jemand weinte, kümmerte sie sich nicht darum; sie verhielt sich, als wäre nichts passiert.
    Der Mann, der der Manager von den Maitland Valley Entertainers

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