Tanz der seligen Geister (German Edition)
herunter. Dann, ohne darüber nachzudenken, was ich tun würde, drückte ich auf die Hupe und hupte so lange und laut, wie ich es aushalten konnte.
Der Lärm befreite mich, so dass ich schreien konnte. Und ich tat es. »He, Clare MacQuarrie, ich will mit dir reden!«
Keine Antwort weit und breit. »Clare MacQuarrie!«, brüllte ich zu seinem dunklen Haus hoch. »Clare, komm raus!« Ich drückte wieder auf die Hupe, zwei Mal, drei Mal, ich weiß nicht, wie oft. Dazwischen brüllte ich. Ich hatte das Gefühl, mir selber zuzuschauen, tief hier unten, ganz klein, wie ich mit der Faust auf die Hupe einschlug und schrie. Wie ich einen Heidenspektakel veranstaltete und tat, was mir gerade in den Kopf kam. Irgendwie machte es Spaß. Ich vergaß fast, weshalb ich es tat. Ich fing an, rhythmisch zu hupen und gleichzeitig zu schreien. »Clare, wann kommst du endlich raus? Clare MacQuarrie lebt in Saus und Braus, wenn er nicht kommen will, holn wir ihn raus …« Ich schrie nicht nur, ich weinte auch, auf offener Straße, und es machte mir nicht das Geringste aus.
»Helen, wollen Sie die ganze Stadt aufwecken?«, sagte Buddy Shields und steckte den Kopf zum Fenster herein. Er ist der Nachtwachtmeister und war mal mein Schüler in der Sonntagsschule.
»Ich bringe dem neuvermählten Paar nur ein Ständchen«, sagte ich. »Was ist dagegen einzuwenden?«
»Ich muss Ihnen befehlen, mit dem Lärm aufzuhören.«
»Ich will aber nicht aufhören.«
»O doch, Helen, Sie sind nur ein bisschen durcheinander.«
»Ich habe ihn immer wieder gerufen, aber er kommt nicht raus«, sagte ich. »Ich will nur, dass er rauskommt.«
»Sie müssen jetzt schön artig sein und aufhören zu hupen.«
»Ich will, dass er rauskommt.«
»Hören Sie auf! Und wehe, Sie drücken noch einmal auf die Hupe!«
»Werden Sie ihn zwingen, rauszukommen?«
»Helen, ich kann einen Mann nicht zwingen, aus seinem eigenen Haus rauszukommen, wenn er das nicht will.«
»Ich dachte, du bist das Gesetz, Buddy Shields.«
»Bin ich auch, aber es gibt eine Grenze für das, was das Gesetz tun kann. Wenn Sie ihn sehen wollen, warum kommen Sie dann nicht tagsüber und klopfen höflich an seine Tür, wie eine Dame es tun würde?«
»Er ist verheiratet, falls du’s nicht weißt.«
»Tja, Helen, er ist nachts genauso verheiratet wie tagsüber.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Überhaupt nicht, das soll die Wahrheit sein. Warum rücken Sie nicht einfach rüber und lassen sich von mir nach Hause fahren? Da, sehen Sie, überall geht das Licht an. Grace Beecher schaut uns zu, und die Holmses machen gerade die Fenster auf. Sie wollen denen doch nicht noch mehr zu reden geben?«
»Die haben sowieso nichts weiter zu tun als zu reden, da können sie genauso gut über mich reden.«
Dann richtete Buddy Shields sich auf und trat vom Autofenster zurück, und ich sah jemanden in dunkler Kleidung über den Rasen der MacQuarries kommen, es war Clare. Er trug keinen Morgenmantel oder dergleichen, er war völlig angezogen, mit Hemd, Hose und Jacke. Er kam direkt auf das Auto zu, während ich dasaß und darauf wartete, was ich zu ihm sagen würde. Er hatte sich nicht verändert. Er war ein dicker, gemütlicher Mann mit verschlafenem Gesicht. Aber gerade seine Miene, diese alltägliche, gelassene Miene trieb mir das Verlangen aus, zu weinen oder zu schreien. Ich konnte weinen und schreien, bis ich schwarz wurde, ohne dass diese Miene sich änderte oder er auch nur ein klein wenig schneller vom Bett aufstand und durch seinen Garten kam.
»Helen, geh nach Hause«, sagte er gerade so, als hätten wir den ganzen Abend lang ferngesehen und so weiter, und jetzt sei es Zeit, nach Hause und richtig zu Bett zu gehen. »Bestell deiner Mama einen schönen Gruß von mir«, sagte er. »Geh nach Hause.«
Das war alles, was er zu sagen hatte. Er sah Buddy an und fragte: »Sie werden sie fahren?«, und Buddy sagte ja. Ich betrachtete Clare MacQuarrie und dachte, er ist ein Mann, der seinen eigenen Weg geht. Es kümmerte ihn nicht allzu sehr, wie ich mich fühlte, wenn erauf mir das tat, was er tat, und es kümmerte ihn nicht allzu sehr, welchen Spektakel ich nach seiner Heirat auf der Straße machte. Und er war ein Mann, der keine Erklärungen lieferte, vielleicht hatte er keine. Wenn er etwas nicht erklären konnte, dann vergaß er es einfach. Jetzt wurden wir von allen seinen Nachbarn beobachtet, aber wenn er ihnen morgen auf der Straße begegnet, wird er ihnen eine komische Geschichte erzählen.
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