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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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heute habe ich eine Postkarte von ihm erhalten, wie Mama sehr wohl weiß.«
    »Er hat in Florida geheiratet. Helen, bleib ruhig.«
    »Wie kann er in Florida heiraten, er macht da Urlaub!«
    »Sie sind jetzt auf dem Weg nach Jubilee und werden hier wohnen.«
    »Alma, ganz egal, woher du das hast, es ist der reine Quatsch. Ich habe gerade eine Postkarte von ihm bekommen. Mama …«
    Ich merkte, dass Mama mich ansah, als wäre ich acht Jahre alt, hätte die Masern und vierzig Grad Fieber. Sie hatte die Zeitung parat und hielt sie mir zum Lesen hin. »Da steht’s«, sagte sie, wahrscheinlich ohne zu merken, dass sie flüsterte. »Der Bugle-Herald meldet es.«
    »Ich glaube kein Wort davon«, sagte ich und fing an zu lesen, las immer weiter, als seien die Namen mir völlig unbekannt, was einige auch waren. Eine stille Feier in Coral Gables, Florida, anlässlich der Vermählung von Clare Alexander MacQuarrie aus Jubilee, Sohn von Mrs. James MacQuarrie aus dieser Stadt und dem verblichenen Mr. James MacQuarrie, einem prominenten Geschäftsmann und langjährigen Parlamentsabgeordneten, mit Mrs. Margaret Thora Leeson, Tochter des verstorbenen Ehepaares Mr. und Mrs. Clive Tibbutt aus Lincoln, Nebraska. Mr. und Mrs. Harold Johnson, die Schwester und der Schwager des Bräutigams, wohnten als einzige Trauzeugen der Zeremonie bei. Die Braut trug ein salbeigrünes Schneiderkostüm mit dunkelbraunen Accessoires und einem Anstecksträußchen aus bronzefarbenen Orchideen. Mrs. Johnson trug ein beigefarbenes Kostüm mit schwarzen Accessoires und grünen Orchideen. Das Paar reist gegenwärtig im Automobil zu seinem künftigen Heim in Jubilee.
    »Hältst du es immer noch für Quatsch?«, fragte Alma streng.
    Ich sagte, ich wisse es nicht.
    »Wie fühlst du dich? Geht’s?«
    Es geht.
    Mama sagte, wir würden uns alle besser fühlen, wenn wir hinuntergingen und uns eine Tasse Tee und etwas zu essen machten, statt zusammengepfercht in diesem kleinen Schlafzimmer zu hocken. Es sei ohnehin Abendbrotzeit. Also begaben wir uns alle hinunter, ich immer noch in meinem Morgenrock, und Mama und Alma bereiteten zusammen eine Mahlzeit zu, wie man sie isst, um bei Kräften zu bleiben, wenn Krankheit im Haus ist und man nicht groß kochen kann. Sandwiches mit kaltem Fleisch, kleine Schalen mit Eingelegtem, ein paar Scheiben Käse und Dattelstückchen. »Rauch eine Zigarette, wenn du magst«, sagte Mama zu mir – zum ersten Mal in ihrem Leben sagte sie das. Also rauchte ich eine, Alma auch, und Alma sagte: »Ich habe Beruhigungstabletten mitgebracht, sie sind nicht sehr stark, und du kannst gerne eine oder zwei haben.« Ich sagte nein, danke, jedenfalls nicht jetzt. Ich sagte, ich könne es noch nicht fassen.
    »Er fährt jedes Jahr nach Florida, stimmt’s?«
    Ich sagte ja.
    »Also ich denke, dass er diese Frau – verwitwet oder geschieden oder was immer sie ist – schon früher kennengelernt hat und dass sie sich die ganze Zeit über geschrieben und das schon lange geplant haben.«
    Mama sagte, es falle ihr schrecklich schwer, so von Clare zu denken.
    »Ich sage ja nur, wie es für mich aussieht. Und ich wette, sie ist die Freundin seiner Schwester. Die Schwester hat alles eingefädelt. Sie waren die Trauzeugen, die Schwester und ihr Mann. Sie ist dir nicht grün, Helen, das hast du mir mal gesagt.«
    »Ich kenne sie kaum.«
    »Helen Louise, du hast mir gesagt, er und du, ihr wartet nur darauf, dass die alte Dame die Augen schließt«, sagte Mama. »Hat er dir das nicht gesagt? Clare?«
    »Und hat sie als Ausrede vorgeschoben«, sagte Alma fest.
    »So was würde er nicht tun«, sagte Mama. »Ach, es ist so schwer zu verstehen – Clare !«
    »Männer sind immer auf das aus, was sie kriegen können«, sagte Alma. Es entstand eine Pause, beide sahen mich an. Ich konnte ihnen nichts sagen. Ich konnte ihnen nicht sagen, woran ich dachte, nämlich an den letzten Samstagabend, bevor er wegfuhr, oben in seinem Haus, er war nackt wie ein Baby und zog meine Haare über sein Gesicht und durch seine Zähne und tat so, als wollte er sie abbeißen. Eigentlich mag ich nicht gern jemandes Speichel in den Haaren haben, aber ich ließ ihn machen, warnte ihn nur, wenn er sie tatsächlich abbiss, musste er mir Geld für den Friseur geben, um sie anzugleichen. Er verhielt sich an dem Abend überhaupt nicht wie jemand, der wegfährt, um zu heiraten .
    Mama und Alma redeten weiter und stellten Vermutungen an, während ich immer schläfriger wurde. Ich

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