Tanz der seligen Geister (German Edition)
Geschäfts erpresste und er sie geheiratet hatte, um ihr den Mund zu stopfen. Aber ich hatte keine Zeit, um mir viele Geschichten auszudenken, denn es kamen ständig Kunden. Alte Damen schnauften die Treppe herauf unter dem Vorwand, Geburtstagsgeschenke für ihre Enkelkinder zu brauchen. Alle Enkelkinder in Jubilee müssen im März Geburtstag haben. Alle müssten mir dankbar sein, dachte ich, habe ich nicht für ein bisschen Aufregung gesorgt? Sogar Alma sah besser aus als den ganzen Winter über. Ich mache ihr keine Vorwürfe, dachte ich, aber es ist wahr. Und wer weiß, vielleicht wäre ich genauso, wenn Don Stonehouse aufgetaucht wäre, wie er immer droht, und sie vergewaltigt und von Kopf bis Fuß grün und blau geschlagen hätte – seine Worte, nicht meine. Sie hätte mir wahnsinnig leidgetan, und ich hätte alles getan, um ihr zu helfen, aber vielleicht hätte ich auch gedacht, soschrecklich es ist, aber endlich passiert was, und es war ein langer Winter.
Es kam gar nicht in Frage, auch nur daran zu denken, zum Abendbrot nicht nach Hause zu gehen, das würde Mama den Rest geben. Schließlich wartete sie mit einem Lachshackbraten, Kohl, Mohrrübensalat mit Rosinen drin, wie ich ihn mag, und Apfelkrümelkuchen. Aber mitten beim Essen begannen ihr die Tränen über das Rouge zu laufen. »Also ich finde, wenn schon jemand das Weinen besorgen muss, dann bin ich das«, sagte ich. »Was ist dir denn so Schreckliches passiert?«
»Ich mochte ihn eben sehr gerne«, sagte sie. »Ich mochte ihn wirklich gern. In meinem Alter gibt’s nicht mehr so viele Menschen, wo man sich die ganze Woche lang drauf freut, dass sie kommen.«
»Ja, tut mir leid«, sagte ich.
»Aber sobald ein Mann die Achtung vor einer Frau verliert, kann gut sein, dass er ihrer müde wird.«
»Was meinst du damit, Mama?«
»Wenn du das nicht weißt, soll ich es dir etwa sagen?«
»Du solltest dich was schämen«, sagte ich und fing auch an zu weinen. »So mit deiner eigenen Tochter zu reden.« So! Dabei hatte ich immer gedacht, sie wüsste es nicht. Clare ist natürlich nicht schuld, ich bin schuld.
»Nein, ich bin nicht die, die sich schämen muss«, fuhr sie weinend fort. »Ich bin eine alte Frau, aber ich weiß Bescheid. Wenn ein Mann die Achtung vor einer Frau verliert, heiratet er sie nicht.«
»Wenn das wahr wäre, dürfte in dieser Stadt so gut wie keine verheiratet sein.«
»Du hast deine eigenen Chancen zerstört.«
»Du hast mir kein Wort davon gesagt, solange er hierherkam, und ich werde es mir jetzt nicht anhören«, sagte ich und ging nach oben. Sie kam mir nicht nach. Ich saß und rauchte, Stunde um Stunde. Ich zog mich nicht aus. Ich hörte sie hochkommen und zu Bett gehen. Dann ging ich hinunter und sah eine Weile lang fern, Nachrichten von Autounfällen. Ich zog den Mantel an und ging hinaus.
Ich habe ein kleines Auto, das Clare mir vor einem Jahr zu Weihnachten geschenkt hat, einen kleinen Morris. Ich benutze es nicht zur Arbeit, denn zweieinhalb Querstraßen weit zu fahren kommt mir albern vor, wie Angeberei, obwohl ich Leute kenne, die es tun. Ich ging zur Garage und setzte rückwärts hinaus. Ich fuhr damit zum ersten Mal seit dem Sonntag, an dem ich Mama nach Tuppertown gebracht hatte, um Tante Kay im Pflegeheim zu besuchen. Ich benutze es mehr im Sommer.
Ich sah auf die Uhr, und die Zeit überraschte mich. Zwanzig nach zwölf. Ich fühlte mich zittrig und schwachvom langen Sitzen. Ich wünschte, ich hätte jetzt eine von Almas Tabletten. Ich hatte die Vorstellung, einfach loszufahren, aber ich wusste nicht, in welche Richtung. Ich fuhr durch die Straßen von Jubilee und sah außer meinem kein anderes Auto. Alle Häuser dunkel, die Straßen schwarz, die Gärten bleich mit dem letzten Schnee. Es kam mir so vor, als wohnten in jedem dieser Häuser Leute, die etwas wussten, was ich nicht wusste. Die verstanden, was passiert war, und vielleicht gewusst hatten, dass es passieren würde, und ich war die Einzige, die es nicht wusste.
Ich fuhr zur Grove Street, bog in die Minnie Street und sah sein Haus von hinten. Auch darin kein Licht. Ich fuhr herum, um es von vorn zu sehen. Mussten sie die Treppe hochschleichen und den Fernseher an lassen? Wohl kaum. Keine Frau mit einem Hinterteil wie ein Konzertflügel würde sich das bieten lassen. Bestimmt ging er mit ihr geradewegs hinauf ins Zimmer der alten Dame und sagte: »Das ist die neue Mrs. MacQuarrie«, und das war’s.
Ich hielt das Auto an und drehte ein Fenster
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