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Tanz der seligen Geister (German Edition)

Tanz der seligen Geister (German Edition)

Titel: Tanz der seligen Geister (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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und unterschwellig entnervte Briefe von Maddy bekam, in denen sie diese Sitzungen mit der Schneiderin beschrieb. Ich las sie voller Mitgefühl, war aber nicht mehr fähig, mich in dieses früher so vertraute Stimmungsgemisch aus rasender Wut und Frustration hineinzuversetzen, das die Forderungen meiner Mutter hervorrufen konnten. In der normalen Welt war es nicht möglich, sie ins Leben zu rufen. Das Bild von ihrem Gesicht, das ich im Kopf trug, kam mir zu schrecklich, zu unwirklich vor. Ebenso kam es mir inzwischen so vor, als entsprängen die vielfältigen Mühsale des Zusammenlebens mit ihr, die Anwandlungen von Hysterie, die Maddy und ich mit viel brutalem Gelächter verscheuchten, zum Teil nur der Einbildung; ich spürte die Anfänge einer geheimen, schuldbeladenen Entfremdung.
    Ich blieb eine kleine Weile lang mit meinen Kindern in dem Zimmer, weil es für sie ein fremder Ort war, nur ein weiterer fremder Ort zum Schlafen. Als ich sie in dem Zimmer betrachtete, fand ich, dass sie besonderes Glück hatten und dass ihr Leben sicher und leicht war,ein Gedanke, der wohl den meisten Eltern dann und wann kommt. Ich schaute in den Schrank, aber es war nichts darin, nur ein Hut, geschmückt mit Blumen aus dem Billigkaufhaus, den eine von uns für ein schickes Osterfest gemacht haben musste. Als ich die Schublade des Waschtischs aufzog, sah ich, dass sie vollgestopft war mit losen Blättern von einem großen Notizblock. Ich las: »Der Friede von Utrecht, beendete 1713 den Spanischen Erbfolgekrieg.« Ich erkannte, dass es meine eigene Handschrift war. Seltsam, das lag nun hier seit zehn Jahren oder noch länger; es sah aus, als hätte ich es am selben Tag geschrieben.
    Aus irgendeinem Grunde hatte die Lektüre dieser Worte eine starke Wirkung auf mich; ich fühlte mich, als läge mein altes Leben um mich herum und wartete nur darauf, wieder aufgenommen zu werden. Nur da in unserem alten Zimmer hatte ich für ein paar Augenblicke dieses Gefühl. Die braunen Flure der alten Highschool (ein Gebäude, das inzwischen abgerissen worden ist) taten sich wieder vor mir auf, und ich erinnerte mich an die Samstagabende im Frühling, nachdem der Schnee geschmolzen war und alle Leute vom Lande in die Stadt drängten. Ich dachte daran, wie wir die Hauptstraße auf und ab schlenderten, Arm in Arm mit zwei oder drei anderen Mädchen, bis es dunkel wurde, und dann zu Al’s tanzen gingen, unter einer Schnur mit bunten Lämpchen. Die Fenster des Tanzsaals standen offen; sie ließen die raue Frühlingsluft mit ihrem Geruch nach Erde und dem Fluss herein; die Hände der Farmersjungen zerdrückten und befleckten beim Tanzen unsere weißen Blusen. Und jetzt hatte sich ein Erlebnis, das damals überhaupt nicht denkwürdig zu sein schien (Al’s war eigentlich ein ziemlich trostloses Lokal, und das Ritual, die Straße auf und ab zu schlendern, um uns zu präsentieren, fanden wir plump und lächerlich, auch wenn wir ihm nicht widerstehen konnten), in etwas für mich sonderbar Bedeutsames und Vollständiges verwandelt; es umfasste mehr als die tanzenden Mädchen und diese eine Straße, es breitete sich über die ganze Stadt aus, ihr rudimentäres Straßenmuster, ihre kahlen Bäume und schlammigen, gerade erst vom Schnee befreiten Vorgärten, über die Schotterstraßen, auf denen Autoscheinwerfer ruckend der Stadt zustrebten, unter einem weiten, ausgewaschenen Himmel.
    Ach, und wir hatten Ballerinaschuhe an, weite schwarze Taftröcke und kurze Mäntel in solchen Farben wie Türkisblau, Kirschrot und Lindgrün. Maddy trug eine große Trauerschleife um den Kragen ihrer Bluse und ein Kränzchen aus künstlichen Gänseblümchen im Haar. Das war so Mode, glaubten wir wenigstens, in einem der Jahre nach dem Krieg. Maddy; ihr aufgeweckter, skeptischer Blick; meine Schwester.
    Ich frage Maddy: »Kannst du dich je daran erinnern, wie sie vorher war?«
    »Nein«, sagt Maddy. »Nein, kann ich nicht.«
    »Ich denke manchmal, ich kann es«, sage ich zögernd. »Nicht sehr oft.« Vorsichtige, zärtliche Nostalgie, die versucht, zu einer sanfteren Wahrheit zurückzugelangen.
    »Ich glaube, man muss fort gewesen sein«, sagt Maddy. »Man muss während dieser letzten – nicht ganz wenigen – Jahre fort gewesen sein, um solche Erinnerungen zu haben.«
    Danach sagte sie dann: Keine Geisterbeschwörung.
    Und das Einzige, was sie noch sagte, war: »Sie hat viel Zeit damit verbracht, Dinge zu sortieren. Alles Mögliche. Grußkarten. Knöpfe und Garn. Hat sie

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