Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
zu erinnern, das irgendein Herzog von Ichtar ihr einmal zugefügt hatte. Ihre Finger bewegten sich flink wie Spinnen über den Tisch. Als sie wieder das Wort an ihn richtete, klang ihre Stimme so, als könne sie kaum ihre Erregung zügeln.
»Es steht in Eurer Macht, ein schreckliches Verbrechen wiedergutzumachen.«
»Genau wie es in Eurer Macht steht, meinen armen Freund freizulassen.«
»Werdet Ihr mir denn helfen, das Unrecht zu rächen, das mir und den Meinen zugefügt wurde?«
»Was soll ich für Euch tun?«
»Ihr müßt es mir erst schwören.«
Axis zögerte, nickte dann aber. »Ihr habt mein Wort darauf. Was verlangt Ihr von mir, um Freierfall herauszugeben?«
Das Gesicht der Wächterin fiel in sich zusammen, bis es einem Totenschädel glich, über den jemand pergamentdünne Haut gespannt und darauf eine Perücke gesetzt hatte. »Lauscht meinen Worten.«
Der Krieger hörte ihr aufmerksam zu.
Als die Frau ihre Geschichte erzählt hatte, wirkte Axis fast so totenbleich wie sie. »Selbst ein Bornheld hat so etwas nicht verdient«, flüsterte er. »So etwas ist grausam und barbarisch!«
»Ihr habt es mir aber geschworen«, zischte sie. »Und ich kann immer noch Freierfalls Seele durchs Tor zwingen, so daß er niemals erfahren wird, was ihn auf der anderen Seite erwartet.«
Dem Krieger blieb keine andere Wahl. »Einverstanden, Torwächterin, dann ist die Sache also abgemacht.«
»Vergeßt nicht, daß die Bedingungen unseres Vertrags ein Jahr und einen Tag nach Eurer Rückkehr auf die Oberwelt erfüllt sein müssen!«
»Ja, das werde ich nicht vergessen, aber …«
»Was wollt Ihr noch?«
»Warum stellt Ihr denn solche Forderungen an mich?«
»Weil die Umstände es so und nicht anders erfordern«, entgegnete sie wieder mit ihrer tonlosen Stimme.
Axis atmete tief durch. »Und Freierfall?«
»Ich stehe zu meinem Wort, Sternenmann, aber nur, wenn Ihr Euren Teil des Handels erfüllt. Sonst wird die Rückwandlung nicht abgeschlossen werden können, und Euer Freund wird verdorren und noch einmal sterben.«
Der Krieger verspürte in diesem Moment den dringenden Wunsch, diesen unterirdischen Welten so rasch wie möglich zu entfliehen und an die Oberwelt mit ihrer Wärme und ihrem Leben zurückzukehren.
»Also dann, bis zu unserem Wiedersehen«, er deutete einen militärischen Gruß an und begab sich den Hügel hinunter zum Fährmann.
»Natürlich«, lächelte die Wächterin, und ihr Gesicht trug jetzt die Züge eines jungen Mädchens. »Und das wird eher sein, als Ihr denkt.«
Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf durcheinander, während sie über den nie endenden Zug der Seelen Buch führte. Sie haßte und verabscheute die Herzöge von Ichtar.
29 C AELUM
Aschure drehte sich im Bett vorsichtig auf die Seite, um Rivkah nicht zu wecken. Eigentlich hätte sie dringend Ruhe bedurft, weil sie heute hart mit ihren Bogenschützen trainiert hatte und sie sich müde und zerschunden fühlte; aber was immer die junge Frau jetzt auch anstellte, sie konnte einfach nicht einschlafen. Außerdem lag das Baby heute nacht schwer und unbequem in ihrem Bauch. Trotz aller Versicherungen von Abendlied, Rivkah und Morgenstern sorgte Aschure sich immer noch darum, daß das sechsmonatige Kind in ihrem Leib noch so klein war und sich überhaupt nicht rührte.
Seufzend schob sie sich aus dem Bett und lief leise zur Tür. Vor dem Hinausgehen fragte Aschure sich noch, ob sie nicht besser den Umhang überwerfen sollte. Aber die Nächte in Sigholt waren so mild, daß ihr Leinennachthemd sie schon ausreichend warmhalten würde.
Sicarius stand natürlich schon bereit, seiner Herrin überall hin zu folgen.
Die junge Frau durcheilte die leeren Flure und stieg die Stufen zum Dach des Turms hinauf. Ein paar Minuten in der frischen Nachtluft hatten sie immer schon beruhigt.
Aschure seufzte fröhlich, als sie die verlassenen Turmzinnen erreichte. Eine warme Brise wehte vom See heran. Die junge Frau löste das Haar, schüttelte es aus und betrachtete das Wasser. Ein Bad in dem warmen Naß wäre jetzt genau das Richtige. Aber der weite Weg dorthin schreckte sie ab. Dann würde sie eben hier oben die Aussicht und die Luft genießen. Der Leithund legte sich an die Tür. Oben auf dem Turm von Sigholt brauchte man kaum Gefahren zu fürchten.
Aschure beugte sich über die hüfthohe Brüstung und betrachtete die Lager am Ufer. Am Nordgestade erstreckten sich die Zelte der Flüchtlinge aus Skarabost; inzwischen war ihre Zahl auf mehrere
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