Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
also bitte bei uns. Axis, setzt Euch bitte wieder hin.«
Axis gehorchte verwundert. Unbemerkt von den anderen ließ sich Aschure bei der Tür auf dem Boden nieder.
Morgenstern sammelte sich.
»Axis, Eure Ausbildung ist besser als erwartet verlaufen. Ihr besitzt die außerordentliche Gabe, Euch ein Lied schon beim ersten Hören einzuprägen, und Ihr versteht Euch auch darauf, die Energie einzusetzen, die durch eine Melodie fließt. Auch hat es den Anschein, als hörtet Ihr den Sternentanz viel deutlicher als jeder andere hier. Damit seid Ihr ein höchst bemerkenswerter Zauberer.«
Axis riß die Augen weit auf. Seine Großmutter hielt sich gewöhnlich mit Lob sehr zurück.
»Er ist doch schließlich der Sternenmann«, wandte Veremund ein, »da darf man wohl erwarten …«
»Und ich bin keine Närrin«, brachte Morgenstern ihn zum Schweigen. »Mir ist bewußt, daß Axis über außerordentliche Fähigkeiten verfügt. Ich weiß auch, daß er aufgrund seiner besonderen Stellung keine Schwierigkeiten mit seiner Ausbildung haben und sie rascher hinter sich bringen wird als jeder normale Zauberlehrling, der dafür Jahre benötigen würde. Das alles ist mir bekannt, und darüber will ich hier auch gar nicht reden.«
Sie atmete tief durch, um nicht aus der Haut zu fahren, und um sich nicht anmerken zu lassen, wie Furcht und Ärger in ihr brodelten.
»Axis«, begann sie dann und sah ihn an und gab sich den Anschein großer Gelassenheit, »woher kanntet Ihr das Lied der Harmonie?«
Der junge Mann runzelte verwirrt die Stirn. »Aber Ihr habt es mir doch eben vorgesungen, Großmutter.«
»Nein«, widersprach sie kaum hörbar, und ihre Finger tasteten nach der Kette an ihrem Hals, »ich habe Euch nur gesagt, wie das Lied heißt und wozu man es einsetzen kann. Aber als ich es Euch dann vortragen wollte, habt Ihr selbst angefangen, es zu singen. Ihr müßt die Weise also schon gekannt haben.«
»Ich …« Axis versuchte sich zu erinnern.
»Dieses Lied kann Euch nicht Sternenströmer beigebracht haben, als Ihr noch im Leib Eurer Mutter wart. Damit habt Ihr es also nicht von ihm. Und ich habe es Euch gewiß nicht bei einer früheren Gelegenheit vorgetragen. Und doch war Euch das Lied bekannt. Wenn es eines Sonnenfliegers bedarf, um einen anderen Sonnenflieger in die Zauberkünste einzuführen, woher habt Ihr dann dieses Lied? Die beiden einzigen noch lebenden anderen Zauberer dieser Familie kommen dafür nicht in Frage.« Morgenstern warf einen kurzen Blick auf die beiden Wächter. »Kein Zauberer, und mag er auch über eine noch so große Macht verfügen, kommt von alleine auf solche Lieder. Irgendwer muß sie ihm vorher beigebracht haben, und das kann nur durch ein Familienmitglied erfolgt sein.«
Sie wandte sich an ihren Sohn: »Sternenströmer, als Ihr Eurem in Rivkah heranwachsenden Kind einige Lieder beigebracht habt, befand sich da auch das Genesungslied darunter?«
»Nein«, antwortete der Zauberer. »Ich habe ihm vieles vorgesungen, aber nicht diese Weise. So etwas bringen wir für gewöhnlich nicht einem Ungeborenen bei.«
Die Großmutter nickte. »Und dennoch kannte Axis auch dieses Lied. Er hat es dem Awarenmädchen vorgesungen, wie Ramu mir berichtete.«
»Das stimmt«, bestätigte Ogden. »Veremund und ich waren dabei und haben ihn gehört. Axis hat das Lied fehlerfrei und wunderschön gesungen.«
»Nun, mein Lieber«, wandte Morgenstern sich wieder an ihren Enkel. Jetzt war ihr Gesicht von den tiefen Falten der Anstrengung durchzogen, »seit Ihr hier Unterricht erhaltet, habt Ihr gut gelernt. Sehr gut. Zu gut. Darüber habe ich oft und lange nachgedacht. Und als Ihr eben auch noch wie von selbst das Lied der Harmonie vortragen konntet, bestätigte das meine schlimmsten Befürchtungen. Axis, Euer Vater und ich haben Euch im Grunde gar nichts beigebracht, sondern Euch lediglich an Melodien und Texte erinnert. Man muß Euch also schon früher ausgebildet haben, wahrscheinlich im Kleinkindalter.«
Morgenstern hielt inne, halb aus Erschöpfung, halb aus Furcht, die nächste Frage zu stellen. Als sie dann wieder die Stimme erhob, fielen ihre Worte wie Steine in die Totenstille des Raums. »Wer hat Euch in Eurer frühesten Jugend ausgebildet, Axis? Sagt es mir, wer?«
Der Krieger starrte sie fassungslos an. Aber seine Großmutter sah ihn so drängend an, daß er schon befürchtete, sie würde ihn durchschütteln, wenn er ihr nicht bald antwortete. Langsam erhob sich der junge Mann. »Morgenstern, ich verstehe
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