Tanz der Sterne - Unter dem Weltenbaum 03
nicht so ganz, was Ihr meint. Ich soll schon früher eine Ausbildung genossen haben? Von wem und zu welchem Zweck? Wenn man mir schon als Kind alles beigebracht haben sollte, warum konnte ich meine Fähigkeiten dann bis vor kurzem nie einsetzen? Nein, nein, Großmutter, da müßt Ihr Euch irren.«
Sie sah ihn streng an. Wenn er seine Verwirrung nur vortäuschte, dann machte er seine Sache verdammt gut. »Man hat Euch, vermutlich in jungen Jahren, zum Zauberer ausgebildet. Aber offenbar könnt Ihr Euch daran nicht mehr erinnern. Weil Ihr nie richtig lerntet, Eure Kräfte einzusetzen, gerieten sie in späteren Jahren wohl in Vergessenheit. Aber im Verlauf des letzten Jahres, als die Wächter und die Prophezeiung Euch Eure Vergangenheit offenbarten und Ihr Eure wahre Herkunft kennenlerntet, kehrten die Lieder in Euer Bewußtsein zurück.«
»Aber, Morgenstern«, wandte Veremund ein, »habt Ihr nicht eben gesagt, daß nur ein Zauberer aus derselben Familie ihn hätte unterweisen können?«
Die Zauberin nickte, ohne ihn anzusehen. »Genau so verhält es sich.«
»Aber welcher andere Zauberer aus Eurer Familie hätte sich denn in dieser Absicht Axis nähern können?«
Morgenstern hob den Kopf. »Sternenströmer und ich sind die einzigen lebenden Zauberer der Familie Sonnenflieger, abgesehen natürlich von Axis. Ich erhielt meine Ausbildung von meiner Mutter Schwebstern, aber sie ist schon vor dreihundert Jahren gestorben.«
»Soll das etwa heißen, irgendwo läuft noch ein Zauberer aus dem Hause der Sonnenflieger herum?« fragte Aschure, und alle im Raum zuckten zusammen, weil sie vergessen hatten, daß die junge Frau sich ebenfalls noch hier aufhielt. »Jemand, den Ihr nicht einmal kennt? Und der dem kleinen Axis alles beigebracht hat?«
Die Großmutter drehte sich zu Aschure um, die sich jetzt erhob »Ja, ich hatte Angst davor, diese Worte auszusprechen. Aber jetzt, da Ihr das für mich getan habt, kann ich sie nur bestätigen. Genau das befürchte ich.«
»Aber wer könnte das denn sein?« fragte Axis. »Warum versteckt er sich vor uns? Warum hat er sich mir später nie wieder gezeigt? Und wie kann ein ikarischer Zauberer überhaupt in den Turm des Seneschalls gelangen? Wie soll das alles möglich sein? Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
»Mein Sohn.« Sternenströmer trat zu ihm und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. »Ich fürchte, die Sache verhält sich noch schlimmer, als es im Moment den Anschein hat. Wenn es einen weiteren Sonnenflieger-Zauberer geben sollte …« Er zögerte. »Dann würde das erklären, wer Gorgrael in allem unterrichtet hat.«
Morgenstern fing an zu zittern und griff sich entsetzt an den Hals. »Der Zerstörer …«
»Nach dem Jultidenfest fragte Freierfall mich, wer Gorgrael im Gebrauch seiner Fähigkeiten unterwiesen habe«, berichtete Sternenströmer, nahm seine Hand von Axis’ Schulter und trat zu seiner Mutter. »Damals antwortete ich ihm, daß er seine Kräfte weniger aus dem Sternentanz als vielmehr aus der disharmonischen Musik beziehe, aus dem Tanz des Todes. Aber eigentlich bin ich damit Freierfalls Frage ausgewichen. Auch ein Gorgrael muß beigebracht bekommen, wie man solche Kräfte einsetzt. Und diesen Unterricht kann ihm nur ein Mitglied seiner Familie erteilt haben. Ein Sonnenflieger.«
»Aber wer sollte das denn sein? Wer könnte schon beide ausbilden, und dann auch noch in solch grundsätzlich unterschiedlicher Musik?« Morgenstern wandte sich ratsuchend an die Wächter. »Ogden und Veremund, wißt Ihr vielleicht eine Antwort darauf? Bitte …«
Doch die Mönche schüttelten den Kopf. Der Hagere breitete hilflos die Arme aus. »Die Prophezeiung enthält viele Rätsel, die wir noch nicht lösen können. Meines Wissens spielt die Weissagung auch an keiner Stelle auf diese Frage an. Darin heißt es lediglich, daß derselbe Mann sowohl den Sternenmann als auch den Zerstörer gezeugt hat, und bei diesem handelt es sich, wie wir inzwischen herausgefunden haben, um Sternenströmer. Aber wir erfahren nichts darüber, wer die beiden ausbildet. Bei ihm muß es sich jedoch um einen Sonnenflieger handeln, denn beide Söhne gehören dieser Familie an.«
»Axis«, wandte sich die Großmutter an ihren Enkel, »wißt Ihr vielleicht mehr darüber? Gibt es irgendwas, das Ihr uns bisher verschwiegen habt?«
Das empörte den jungen Mann zutiefst. »Ich würde Euch niemals anlügen, Morgenstern, und ich behalte auch nichts für mich. Wenn ich mehr darüber
Weitere Kostenlose Bücher