Tanz des Lebens
Verstand es ist. Doch irgendwann spüren die Auserwählten ihre inneren Kräfte und fühlen, welche besondere Gabe sie besitzen. In diesem Augenblick werden die magischen Kräfte erwachen, man muss es nur zulassen.«
Faye erstarrte und sie begriff endlich. Sie war auch eine Yeidevi. Wieder drang Shivas Stimme zu ihr. Ihre eindringlichen Worte wurden mit den Wellen des Meeres an ihr Ohr gedrückt:
» Es gibt viele Yeidevis. Um das Element Wasser zu beherrschen, müssen sie lernen, mit ihrem gesamten Körper und ihrem Geist in eine perfekte Harmonie zu gelangen. Denn nur eine vollkomme Ruhe kann die Wogen und Flutwellen angreifender schwarzer Mächte glätten. Konzentriere dich auf deinen Traum, Faye. In deinem Traum … dort liegt die Wahrheit verborgen … Beschwöre die Bilder und verbinde sie mit deinen Gefühlen, dann wirst du die Wahrheit erkennen. Liebe ist das stärkste Gefühl, das man haben kann.«
Shivas schwebende Gestalt zwischen den Wellen wurde blasser, löste sich schließlich ganz auf. Und Faye überrannten die Erinnerungen. Ihr Geist war es, der sie während ihrer Anfälle geleitet hatte, sie war es gewesen, die ihre beste Freundin Zoe mit dem aus der Wand gerissenen Wasserboiler das Leben gerettet hatte; die das schwarze Fellknäuel Merlin aus dem River gezogen hatte, und nicht Page hatte damals Deborahs Feuerwand mit der Kraft der Wasserwelle gestoppt - die Macht war aus ihren eigenen hochgerissenen Armen geströmt.
Bei jedem ihrer Ohnmachten hatte ihr bereits erwachter Geist instinktiv reagiert. All ihre Träume gaben jetzt auf einmal einen Sinn: Die blonde gesichtslose Gestalt war das Gesicht von ihrem böswilligen Onkel, dem Magier Mason. Und die schwarzen Augen, die ihr am Anfang Angst machten, gehörten Quin.
Jetzt erst erkannte sie, dass sich hinter der Hülle der dämonisch schwarzen Augen, karamellfarbenen Augen verbargen, und es nicht, wie sie immer dachte, Liams Augen waren. Es waren immer nur Quins Augen gewesen - nachdem er ihr Blut erhalten hatte. Darum hatte sie sich schon immer zu ihm hingezogen gefühlt, denn ihr Unterbewusstsein wusste schon seit Langem von ihm und wollte ihr mit den Träumen mitteilen, dass sie keine Angst vor Quin haben musste.
Ihr Blut konnte ihm helfen – Quin war nicht verloren. Faye war erwacht. Jetzt spürte sie die Kräfte der Yeidevi durch ihre pulsierenden Adern strömen, aber sie war noch zu schwach. Immer wieder fielen ihr die Augen vor Benommenheit zu. Dann hörte sie die Stimme ihrer Träume: Steh auf! Steh endlich auf und lauf weg! Das war Quins Stimme.
Tränenüberströmt schoss Faye in den Wasserwellen hoch. Doch seine Stimme war verstummt. Stattdessen spürte sie Shivas Kraft, die die Hexe und Yeidevi auf sie gebündelt hatte. Und sie erkannte jetzt Shivas smaragdgrüne Augen, in denen sich die Pupillen ihre Zwillingsschwester Page spiegelten. Aufmerksam konzentrierte Faye sich darauf. Und kurz darauf kam ihr Körper wie ein Pfeil an die Oberfläche und schoss aus dem grünen Wasser empor.
Fassungslos starrte Mason die Erscheinung an und stieß einen überrumpelten hasserfüllten Laut aus. Faye stand am Rande des Felsenkliffs. Sie sah, wie er in ihre Augen blickte, die nun in einem tiefen irisierenden smaragdgrünen Ton schimmerten, und für eine Sekunde konnte sie in seinen dämonischen Augen bis auf den Grund seiner Seele blicken.
Faye ahnte, dass ihm in diesem Augenblick klar wurde, dass jetzt ihre Kräfte durch die Wassergöttin Yeidevi vollständig erwacht waren. Und mit dieser Erkenntnis fühlte sie, dass der Black Mager zum ersten Mal einen Hauch von Furcht und Niederlage spürte.
»Nein«, schrie er mit dem wilden, irren Gebrüll eines Wahnsinnigen. »Du kannst mich nicht mehr aufhalten. Es ist zu spät!«
Die Flammen des einen Feuerkreises züngelten hoch. Faye sah Quin sich wie in Trance marionettenartig auf den lockenden Ruf seiner tanzenden Zwillingsschwester Mei Ling in dem brennenden Zirkel zubewegen. Ohne weiter auf Mason zu achten, sprang sie nach vorne auf den von rabenblutroten Flammen umkreisten Beschwörungskreis zu und schrie: »Quin! Quin… Quin, verdammt noch mal, hör mir zu!«
Doch er schien sie gar nicht zu beachten. Er streckte die Arme nach seiner hypnotisch lockenden Schwester aus und seine Hände begannen zu brennen. Das glühendheiße, orangerote Lavalicht blendete Faye. Sie spürte, wie die Höllenhitze in ihre Fußsohlen eindrang und unaufhaltsam ihren Körper hochkroch, um ihr Innerstes zu verbrennen.
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