Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz im Dunkel

Tanz im Dunkel

Titel: Tanz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlaine Harris
Vom Netzwerk:
durch die Milchglasscheiben fiel.
    Rue staunte darüber, wie er ihr in so kurzer Zeit so wichtig hatte werden können. Sie liebte jede Linie seiner Gesichtszüge, die Kraft seines geschmeidigen, weißen Körpers und die Leidenschaft, mit der er sie geliebt hatte. Am meisten gefiel ihr jedoch, dass er auf ihrer Seite war. Seit Jahren hatte niemand mehr bedingungslos und ohne Vorbehalte hinter ihr gestanden. Eigentlich müsste ich immer noch böse auf ihn sein, weil er in Pineville war, dachte sie. Doch ihr Ärger war verschwunden.
    “Ich bin ein Feigling”, sprach sie ihre Gedanken aus.
    “Ich weiß, was das bedeutet”, erwiderte Sean versonnen. “Warum sagst du so etwas?”
    “Ich bin froh, dass du alles herausgefunden hast. Dass ich es dir nicht erzählen muss. Und ich bin froh, dass ich dir so wichtig bin, dass du … Carver finden willst.”
    Allein wie schwer ihr sein Name über die Lippen kam, sprach Bände.
    “Was haben deine Eltern damals unternommen?”, wollte Sean wissen. Er hatte zu wenig Zeit gehabt, Will Kryder alles zu fragen, was er hatte wissen wollen.
    “Sie haben mir nicht geglaubt”, murmelte sie. “Nur mein Bruder Les hat zu mir gehalten. Er hat mich an dem Abend gerettet. Allerdings ist er kein durchsetzungsstarker, energischer Typ. Weißt du, mein Dad arbeitet für Carvers Vater, und er würde wahrscheinlich nirgendwo sonst mehr Arbeit bekommen. Er trinkt sehr viel. Ich bin mir nicht sicher, ob er noch seinen Job hätte, wenn er nicht mein Vater wäre. Dad weiß, dass Hutton ihn behalten muss, sonst könnte mein Vater ausplaudern, was er weiß. Und meine Mutter … tja, sie hat sich eingebildet, dass alles ein schlauer Schachzug von mir war, damit Carver mich heiratet. Erst als sie gemerkt hat, dass das nicht stimmte, ist sie wütend geworden.”
    “Sie wollte, dass du ihn heiratest?”
    “Ja, sie hat wirklich geglaubt, dass ich die Ehefrau eines Mannes werden möchte, der mich vergewaltigt hat.”
    “Zu meiner Zeit hätte man dich gezwungen, ihn zu heiraten”, sagte Sean.
    “Wirklich?”
    “Wärst du meine Schwester, hätte ich dafür gesorgt, ja.”
    “Weil ich keinen anderen Mann mehr gefunden hätte? Als sozusagen ‘beschädigte Ware’?”
    Sean wurde klar, dass er gerade einen schweren Fehler gemacht hatte.
    “Und den Rest meines Lebens hätte ich mich dann mit Carvers ‘kleinen Eigenheiten’ – zum Beispiel seiner Brutalität – arrangieren müssen, nur weil er mich vergewaltigt hat”, stellte Rue kühl fest.
    “Na ja, zu meiner Zeit hätten wir wohl das Falsche getan”, gab er zu. “Aber wir wären auf deiner Seite gewesen.”
    “Aber du bist doch auf meiner Seite”, sagte sie. “
Jetzt
habe ich dich an meiner Seite. Falls dir das irgendetwas bedeutet …”
    “Ich komme einem Menschen nicht so nahe wie dir, wenn es mir nichts bedeutet.”
    “Rührt das daher, dass du ein Aristokrat bist? Warst du zu deiner Zeit wie Carver?” Ihr Tonfall war schärfer als vorhin.
    “Du vergleichst mich in unserer ersten Nacht mit dem Mann, der dich vergewaltigt hat?”
    Sie bereute ihre unbedachten Worte sofort. “Da habe ich jetzt jahrelang jedes Wort anderen gegenüber auf die Goldwaage gelegt, und plötzlich benehme ich mich wie eine fürchterliche … Es tut mir leid, Sean. Bitte verzeih mir, was ich gerade gesagt habe.”
    Eine Weile war es völlig still in dem dunklen Saal. Sean sagte kein Wort. Rue wurde bang ums Herz. Sie hatte alles kaputt gemacht. Ihre Erlebnisse hatten sie stärker verändert, als ihr bewusst gewesen war, hatten sie verbittert und verängstigt zurückgelassen. Aber wie hätte sie sonst überleben sollen?
    Nach weiteren Minuten nervenaufreibenden Schweigens, griff Rue zögernd nach ihren Sachen. Sie war entschlossen, nicht loszuheulen.
    “Wo willst du hin?”, fragte Sean.
    “Nach Hause. Ich habe alles vermasselt. Du redest nicht mehr mit mir, also gehe ich.”
    “Du hast mich beleidigt.” Nun klang er überhaupt nicht mehr ruhig und gelassen. Was er ihr eigentlich damit sagen wollte, war, dass sie ihm
wehgetan
hatte – doch Rue hörte es nicht. Ehe Sean dazu kam, sich anzuziehen, war sie auf und davon. Sie hatte sich ihr Flanellhemd über ihr Tanztrikot geworfen, war in ihre Stiefel gesprungen, ohne sie zuzubinden, und aus dem Haus gelaufen, sodass Sean keine Chance hatte, sie zurückzuhalten. Er fluchte laut. Als derjenige, der als Letzter das Tanzstudio verließ, war es seine Pflicht, alle Türen zuzusperren und zu kontrollieren. Davor

Weitere Kostenlose Bücher