Tanz im Dunkel
sie.
“Sie werden bald kommen und den Deckel wegschieben”, antwortete er. “Ich könnte es selbst tun, aber ich habe Angst, dass ich ihn zu fest schiebe und er zerbricht. Wir möchten ja nicht, dass irgendjemand merkt, dass wir hier waren.”
Nach wenigen Minuten hörte Rue, wie der schwere Deckel aus Stein zur Seite geschoben wurde. Erst sah sie ein schwaches Licht, dann Rick und Phil. Die beiden standen über ihnen, und jeder hielt ein Ende des Deckels.
Im nächsten Moment streckten sich ihnen Hände entgegen, und Julie und Thompson halfen ihnen aus dem Sarkophag. “Wie ist es?”, fragte Julie scheu, als sie und Rue wenig später allein auf der Damentoilette waren. Die Männer beseitigten gerade alle Spuren am Sarkophag, und Rue hatte das dringende Bedürfnis gehabt, sich das Gesicht zu waschen und den Mund auszuspülen. Sie hätte sich genauso gut die Mühe sparen können, dachte sie, als sie einen Blick in den Spiegel warf, in dem sie sich – zu ihrer Freude und allen Mythen über Vampire zum Trotz – sehen konnte. Ihr Kleid war zerrissen, blutig und zerknittert. Wenigstens hatte sie sich mit der Bürste, die Julie ihr freundlicherweise geborgt hatte, das Haar einigermaßen in Ordnung bringen können.
“So zu sein, meinst du?”
Julie nickte. “Ist es wirklich ein so großer Unterschied, wie es immer heißt?”
“Oh. Ja”, sagte Rue zerstreut. Es war schwierig, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, wenn Julies Herz so dicht neben ihr klopfte. Es würde eine Weile brauchen, bis sie sich an alles gewöhnt hatte, dachte Rue. Außerdem brauchte sie eine Flasche Tru Blood, und zwar dringend.
“Die Cops möchten mit dir reden”, sagte Julie. “Ein Detective namens Wallingford.”
“Bring mich zu ihm. Aber ich sollte vorher besser etwas trinken.”
Es kam nicht oft vor, dass ein blutverschmiertes Mordopfer den Täter persönlich identifizierte. Rues Eintreffen auf der Polizeistation war eine Sensation. Trotz seines gebrochenen Arms wurde Carver Hutton IV. ins Nebenzimmer zur Gegenüberstellung geführt, wo bereits andere Männer, denen man ebenfalls den Arm bandagiert hatte, warteten. Es war Rue ein Vergnügen, auf ihn zu deuten.
Dann identifizierte ihn Sean.
Dann Mustafa.
Dann Abilene.
Drei Vampire und eine menschliche Erotik-Künstlerin waren nicht gerade jene Art von Zeugen, an denen die Polizei ihre helle Freude hatte, doch auch ein paar der Museums-Vorstände hatten Carvers Gewaltausbruch gesehen – darunter auch Rues alter Tanzpartner, John Jaslow.
“Es wird natürlich einen Prozess geben”, erklärte Wallingford. Er war ein griesgrämig wirkender Mann Mitte vierzig, der so aussah, als hätte er noch nie in seinem Leben gelacht. “Doch angesichts seiner Vergangenheit, seiner Fingerabdrücke auf dem Messer und der zahlreichen Zeugenaussagen sollte es nicht schwer sein, ihn hinter Gitter zu bringen. Wir sind hier schließlich nicht mehr in Daddys Garten.”
“Ich musste sterben, um Gerechtigkeit zu erleben”, sagte Rue. Einen Moment lang herrschte Stille.
Schließlich ergriff Julie das Wort. “Wir gehen jetzt zu mir, damit ihr beide euch duschen könnt. Und dann gehen wir tanzen. Dein neues Leben beginnt, Rue!”
Sie nahm Seans Hand. “Layla”, sagte sie leise. “Mein Name ist Layla.”
– ENDE –
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