Tanz im Mondlicht
regionalen Schule.
Genau das hatte Margaret getan. Sie hatte sich zum Graduiertenstudium an der University of Rhode Island eingeschrieben und eine Tätigkeit als Aushilfslehrerin an der Audubon Elementary gefunden. Da ihre Mutter zum Glück in der Nähe wohnte, konnten die beiden Mädchen die Nachmittage im Haus ihrer Großmutter verbringen. Margaret wusste nicht, was sie ohne ihre Mutter angefangen hätte …
Die Mädchen hatten eine wunderbare Kindheit gehabt, so viel war gewiss. Als Jane elf und Sylvie neun war, verließ der Vater die Familie endgültig. Margaret wusste um die Narben, die seine Abwesenheit hinterlassen hatte – doch mit Sicherheit waren sie nicht schlimmer als diejenigen, die durch seine Anwesenheit entstanden waren. Seine Alkoholexzesse, Weibergeschichten, sein Verschwinden, unterbrochen von den fortwährenden Auseinandersetzungen zwischen Margaret und ihm; ständig mussten die Kinder ihre Mutter trösten, wenn sie wieder einmal weinte.
Margaret tröstete sich mit dem Gedanken an die grenzenlose Liebe, die ihre Töchter von ihr und ihrer Mutter erfahren hatten … und an die Glanzleistungen, die sie sowohl in der Schule als auch bei allen anderen Aktivitäten an den Tag legten. Dass Jane mit einem Mal aus der Reihe tanzte, hatte alle überrascht.
Als Margaret nun in Janes blaue Augen sah, fragte sie sich, was für Dinge sie wohl gesehen haben mochten. Manhattan schien Lichtjahre entfernt, eine völlig unfassbare Wahl für eine Frau, die als kleines Mädchen so sehr den Vögeln und der Natur zugetan war …
»Wo hast du gesteckt, mein Kind?«, hörte sich Margaret fragen.
»Ich habe mein eigenes Leben gelebt«, erwiderte Jane sanft.
Sylvie atmete hörbar aus.
»Aber jetzt bist du zu Hause«, fuhr Margaret fort.
»Ja, das bin ich.«
Damit schien alles gesagt. Niemand sprach mehr. Margaret war zufrieden. Sie schloss die Augen, schmeckte immer noch den Zucker in den Mundwinkeln, dachte an Lolly. Sie hatte sie geliebt. Niemand würde jemals erfahren, wie sehr sie ihre Puppe vermisste. Und wie viele Tränen sie damals, in der ersten Nacht, um sie vergossen hatte …
»Darf ich mir den Wagen ausleihen?«, fragte Jane.
Sylvie stand an der Spüle und wusch die Kuchenteller ab. Sie hatte das Becken mit Lauge gefüllt und die Arme bis zu den Ellenbogen eingetaucht.
»Ich weiß nicht, ob du mitversichert bist.«
»Mitversichert?«
»Die Versicherung ist auf Moms Namen abgeschlossen.«
»Aber du darfst den Wagen fahren?«
»Ja, weil ich zum selben Haushalt gehöre.«
»Wenn das so ist.« Jane lächelte. »Ich habe immer noch ein Zimmer hier. Woher will die Versicherungsgesellschaft wissen, dass ich nicht wieder eingezogen bin? Notfalls könnten wir behaupten, dass ich hier ebenfalls wohne. Was ist aus deinem eigenen Auto geworden?«
»Das habe ich verkauft.« Sylvie reichte ihrer Schwester einen Teller zum Abtrocknen. »Als ich mich von der Bibliothek beurlauben ließ, war mir klar, dass ich den Gürtel enger schnallen musste.«
»Du hast doch so sehr an deinem Auto gehangen.« Sie hatte von ihrer Schwester vor drei Jahren ein Foto als Weihnachtsgrußkarte erhalten, das sie am Steuer eines grünen MGB -Oldtimers mit heruntergelassenem Verdeck und einer roten Nikolausmütze auf dem Kopf zeigte.
Sylvie zuckte die Achseln. »Moms Wagen reicht aus. Wir kommen überall damit hin. Das Cabrio war sowieso nicht gerade praktisch.«
Jane trocknete das letzte Geschirr ab. Sie hatte sich gewundert, als sie erfuhr, dass sich Sylvie ein derart ausgefallenes Auto angeschafft hatte: britisch, extravagant, ungewöhnlich und unpraktisch. Aber es freute sie, dass gerade Sylvie sich diese nostalgische Luxuskarosse geleistet hatte, und nun tat es ihr in der Seele weh, zu hören, dass sie ihr Prachtstück verkauft hatte.
»Also was ist? Hast du was dagegen, wenn ich mir den Kombi ausleihe?«, fragte Jane abermals.
Sylvie stapelte die Teller im Geschirrschrank. Ihre Lippen waren zusammengepresst, als suchte sie krampfhaft nach einem Vorwand, Jane den Wagen vorzuenthalten. Jane stützte sich auf den Frühstückstresen, wartete.
»Nein. Es ist dein erster Abend zu Hause … ich dachte, du wärst müde. Aber bitte, bedien dich.«
Jane schnappte sich die Schlüssel und ging zur Tür. Sie holte ihre Lederjacke vom Garderobenständer aus Eiche und schlüpfte hinein. Ihre Brust war zusammengeschnürt, und sie wusste, dass Sylvie auf eine Einladung wartete.
»Wohin willst du eigentlich?«, fragte
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