Tanz im Mondlicht
der Brown. Sie waren, mit Büchern beladen, auf dem Weg zu ihren Englischprofessoren auf den Stufen der Horace Mann School zusammengeprallt.
Der Zusammenstoß war so heftig, dass sie eine Platzwunde an der Stirn davontrug und sämtliche Bücher auf dem Boden landeten, zu einem Haufen verkeilt. Jane sah Sterne. Jeffrey kniete sich neben sie, berührte behutsam ihre Augenbraue.
»Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Ja. Bei dir auch?«
»Nein, weil du blutest …«
Sie lachte. »Ich blute und du bist nicht in Ordnung?«
Er nickte. Dann griff er in seine Tasche – er trug ein kariertes, kurzärmeliges Hemd und verknitterte Khakihosen – und holte ein Taschentuch heraus. Es war sauber und weiß, tadellos gefaltet. Jane dachte unwillkürlich an ihre Schwester Sylvie, die eine zwanghafte Vorliebe für perfekt zusammengelegte Wäsche hatte, und die Verbindung war so stark, dass sie sich magisch angezogen fühlte, tief in seine braunen Augen zu blicken.
»So.« Er tupfte ihre Augenbraue ab.
Ihre Gefühle befanden sich in Aufruhr. Ihr Vater hatte die Familie verlassen, als sie noch sehr klein gewesen war. Ihre Mutter war mit ihr immer zu einer Kinderärztin gegangen. Einen richtigen Freund hatte sie nie gehabt, verschlossen und lernbeflissen, wie sie war. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte es keine männliche Bezugsperson in ihrem Leben gegeben, die so liebevoll und fürsorglich gewesen war. Sie biss sich auf die Lippe.
Seine Berührung war sanft. Er presste seine kühlen Finger gegen ihre Wange, während er mit der anderen Hand das Blut über ihrem Auge wegwischte.
»Vielleicht sollte das genäht werden«, sagte er.
»Nein, ich bin sicher, es ist nichts weiter …«, stammelte sie; ihre Empfindungen waren so stark, dass sie kaum ein Wort über die Lippen brachte.
»Möglicherweise behältst du eine Narbe zurück, wenn die Wunde nicht richtig versorgt wird. Ich könnte den Gedanken nicht ertragen, schuld daran zu sein.«
»Ich kriege keine Narben.« Sie lächelte ihn an, bemerkte die goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen und fragte sich, warum er so besorgt aussah. »Ich bin hart im Nehmen.«
»Wie du meinst«, sagte er zweifelnd und erwiderte ihr Lächeln. Sie begannen, die Bücher aufzusammeln. Jane nahm ihre, Jeffrey seine. Sie reichten sich die Hände und verabschiedeten sich.
Erst als sie wieder in ihrem Wohnheim war, merkte sie, dass ein Buch fehlte,
Mythen: Vom Mittelalter bis zur Postmoderne
, und sie versehentlich ein Buch von ihm mitgenommen hatte,
Die Geschichte der Literaturkritik.
Sein Name stand auf der Vorderseite: Jeffrey Hayden, Wayland. Sie zermarterte sich das Gehirn, bis ihr endlich einfiel, wo sich sein Studentenheim befand – direkt gegenüber, in der George Street in Littlefield.
Eineinhalb Tage schleppte sie sein Buch im Rucksack mit sich herum, bis sie ihm wieder begegnete, in Gesellschaft seiner Freunde, an einem Tisch im Sharpe Refectory.
Als sie ihm das Buch zurückgab, holte er ihres aus seiner Aktenmappe. Sie lächelten sich an, als sie sah, dass er ebenfalls eine große, purpurfarbene Beule auf der Stirn hatte, genau wie sie.
Er machte den Platz neben sich frei, und sie aßen an jenem Tag zusammen. Danach begannen sie, gemeinsam zu lernen. Beide hatten Englisch als Hauptfach gewählt. Jane wollte schreiben und an einer Highschool unterrichten. Jeffrey liebäugelte langfristig mit einer Professur. Jane bewunderte von Anfang an seinen brillanten Verstand, doch er behauptete, dass er ihr nicht das Wasser reichen könne, was Schärfe und Klarheit des Denkens betraf. Wenn sie las, versank für sie die Welt ringsherum, und wenn sie in
Beowulf
oder
Sir Gawain
vertieft war, ertappte sie ihn häufig dabei, wie er sie betrachtete.
»Was soll das?«, fragte sie.
»Ich studiere dich.«
»Nein, du beobachtest mich.«
»Literatur verkörpert die Geschichte der Welt, heißt es. Und du bist meine Welt.«
Das war, bevor er sie auch nur geküsst hatte.
Seine Küsse …
Das war es, wovon Jane träumte, zu Hause in ihrem alten Bett, fünfzehn Jahre später. Von Jeffreys Küssen.
In ihren Träumen waren sie sanft und zärtlich gewesen, genau wie im wirklichen Leben.
Jane lag auf dem Rücken, in dem schmalen Bett ihres Zimmers im Studentinnenwohnheim. Jeffrey saß am Schreibtisch. Ein merkwürdig grelles Licht drang durch das Fenster, als ginge die Sonne draußen in der Hecke unter. Jane blinzelte, schirmte ihre Augen ab. Musik plärrte im Korridor.
Plötzlich kniete Jeffrey
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