Tanz im Mondlicht
verhindern, dass sich eine enge, ungeheuer starke Beziehung zu ihrem ungeborenen Baby entwickelte. Obwohl die Nonnen die jungen Frauen darauf hinwiesen, dass es ihnen verwehrt war, dem Kind einen Namen zu geben, es in den Arm zu nehmen oder mit ihm zu spielen, hatte Jane nicht vor, sich an das Verbot zu halten. Sie konnte nur noch daran denken.
Einmal büxte sie aus.
Sie nahm das Busgeld aus einer Keksdose in der Küche und ging zu Fuß bis zur Hauptstraße. Als der Bus Richtung Providence kam, stieg sie ein. Sie nahm auf einem Fenstersitz Platz. Der Bus ratterte an der Küste entlang, durch Barrington und East Providence nach Fox Point, und weiter zur East Side von Providence und zum Campus der Brown University.
Er hielt in der Thayer Street. Jane presste ihre Handfläche gegen die kalte Scheibe. Sie sehnte sich nach einer Tasse Tee im Penguin’s, nach einem Film im Avon, nach Gedichten in der Horace Mann School, nach ihrer kleinen Lesenische im Rock. Sie sehnte sich nach Jeffrey. Und ihre Augen füllten sich mit Tränen bei der Vorstellung, das College zu verpassen, die Chance zu verpassen, gemeinsam mit Sylvie zu studieren.
»Hier geht dein Vater zur Schule«, hatte sie dem Baby zugeflüstert, die Hand auf ihrem ausladenden Bauch. »Hier haben wir uns kennengelernt, hier bist du gezeugt worden …«
Als der Bus in die Angell Street einbog, tauchte mit einem Mal Jeffrey auf. Er ging die Straße entlang, ganz allein, den Rucksack über die Schulter geschlungen. Jane starrte ihn an. Er wirkte gedankenverloren. Sie fragte sich, ob er an sie dachte, aber sie glaubte es nicht.
Das Baby und sie waren allein. Er hatte es so gewollt.
Als sie ins St. Joseph’s zurückkehrte, wurde sie von den Ordensschwestern mit einer Strafpredigt in Empfang genommen. Sie untersagten ihr, für den Rest ihres Heimaufenthalts Torten zu backen. Sie hatte bereits einen großen Fehler begangen und musste lernen, sich nichts mehr zuschulden kommen zu lassen.
Sie musste Vernunft annehmen. Und nicht an Dinge rühren, die sich nicht mehr ändern ließen.
Doch bisweilen konnte selbst der vernünftigste Mensch nicht verhindern, dass er fürchtete, verrückt zu werden. Jane hatte die richtige Entscheidung getroffen, aber sie verlor fast den Verstand dabei. Jedes fünfzehnjährige Mädchen, das ihr begegnete, beschwor Gedanken an ihre Tochter herauf. Die Wahrheit – über die Freigabe zur Adoption und das Mädchen, das sie nicht kennenlernen durfte – verfolgte sie wie ein Gespenst. Sie musste wissen, was aus ihm geworden war, musste Kontakt zu ihrem Kind aufnehmen. Jane wusste, es wäre ihr Tod, wenn es ihr nicht gelang. Die Reise nach Rhode Island war seit langem fällig gewesen.
Der erste Schritt war getan: Sie hatte gerade Dylan Chadwick kennengelernt und mit ihm über seine Nichte gesprochen. Seine Nichte, Chloe.
»Chloe«, flüsterte Jane, allein in dem dunklen Auto, und schlang die Arme um ihre Schulter. »Chloe.«
Kapitel 7
V ielleicht lag es daran, dass sie in der Highschool gewesen und Mr. Romney über den Weg gelaufen war, aber Janes Gedanken kehrten ständig in die Vergangenheit zurück. Möglicherweise war aber auch die Begegnung mit Chloes Onkel der Auslöser, der ihren Namen ohne Umschweife ausgesprochen hatte, so dass sie mit einem Mal zu einem Menschen aus Fleisch und Blut wurde.
Manchmal fragte sich Jane, ob sie das Ganze nicht nur geträumt hatte. Ob sie wirklich schwanger gewesen war, überhaupt eine Tochter zur Welt gebracht hatte. Das alles war vor langer, langer Zeit geschehen. War ihr
widerfahren
. Als wäre ein Ereignis über sie hereingebrochen, eine Situation, die sich ihrem Einfluss entzog. Ihr Leben war ihr aus der Hand genommen worden …
Aber vorher hatte sie ein gewisses Maß an Kontrolle besessen. Es war viel Liebe ihrerseits im Spiel gewesen. Das konnte sie nicht leugnen, auch wenn es bequem gewesen wäre, diese Tatsache unter den Teppich zu kehren. Sie hatte den Jungen geliebt. Chloes Vater. Sie hatte das Kind geliebt, das in ihr wuchs. Und das galt auch für ihre Mutter, die nur das Beste für sie wollte, auch wenn ihre Gefühle in diesem Fall eher einer Hassliebe gleichkamen.
Nachts träumte sie, seit sie wieder in ihrem alten Zimmer schlief, von der Vergangenheit. Sie träumte von ihrer ersten großen Liebe. Sein Name war Jeffrey Hayden. Er hatte braune Locken und sorgenvolle Augen. Es war Liebe auf den ersten Blick, als sie ihm begegnete, Anfang September, in seinem ersten Studienjahr an
Weitere Kostenlose Bücher