Tanz im Mondlicht
sie eine gute Figur abgab, wenn er sie zum Surfen mitnahm, aber Chloe reagierte einsilbig.
Sie fühlte sich
depriviert
, nachdem alle weg waren – das alte Paar im Wagen, Onkel Dylan auf seinem Traktor und, aus einem unerklärlichen Grund, Jane in ihrem Kombi.
Ihr gefiel das Wort: depriviert. Genauer gesagt,
gefiel
es ihr nicht wirklich, aber es war zutreffend.
Sie hatte es in der siebten Klasse gelernt; es war eines der Fremdwörter gewesen, die sie zu buchstabieren versuchte, und als sie es im Wörterbuch nachgeschlagen und die Definition gelesen hatte (»Mangel, Verlust, Entzug von etwas, das man braucht, wünscht oder erwartet«), konnte sie sich vollkommen damit identifizieren.
»Was ist los?« Mona cremte sich die Arme mit Sonnenlotion ein. »Du bist mächtig still.«
»Mir fehlt etwas, was ich brauche, mir wünsche oder erwarte«, sagte Chloe.
»Häh?«, fragte Mona in dem übertriebenen Bemühen, sich dumm zu stellen.
»Ich habe keine Ahnung, was los ist. Ich fand es schön, dass Jane da war.«
»Ja, sie ist nett.«
»Was glaubst du, ist sie wirklich nur gekommen, um eine Pastete zu kaufen? Wenn man die Tatsache bedenkt, dass sie die Kuchen gebacken hat …«
Mona gluckste boshaft.
Chloe nahm die Sonnenlotion und bedeutete Mona, ihr den Rücken einzuschmieren. Sie warf ihrer Freundin einen fragenden Blick zu. »Was ist?«
»Zwei Worte: Onkel Dylan.«
»Glaubst du, sie mag ihn?«
Mona nickte, verteilte die Lotion auf Chloes Schulterblättern. »Eine Frau erkennt auf Anhieb, wenn sie mit einer Rivalin konfrontiert wird. Es bringt mich um den Verstand, mit ansehen zu müssen, wie er sie anschaut.«
Chloe runzelte die Stirn. Das waren beunruhigende Nachrichten, in zweifacher Hinsicht. Erstens wusste sie nicht, was sie davon halten sollte, wenn ihr Onkel eine andere Frau auf bestimmte Weise ansah. Nicht, dass sie Tante Amanda besonders gern gehabt hatte – ehrlich gesagt, war sie hochnäsig und kalt gewesen, und alle wussten von ihrer Affäre mit dem Polospieler aus Palm Beach, mit der sie Onkel Dylan Hörner aufgesetzt und Isabel das Herz gebrochen hatte. Chloe hasste Veränderungen und konnte sich nicht vorstellen, wie es sein mochte, wenn ihr Onkel sich mit einem Mal verliebte und eine feste Beziehung mit jemandem einging.
Der zweite Grund hatte mit Jane zu tun. Chloe hatte das Gefühl, dass Jane ihretwegen zum Stand gekommen war. Ihr gefiel die Art, wie Jane sie anlächelte – als würde sie nur das Beste suchen und finden. Nicht wie ihre Lehrer, die ständig etwas auszusetzen hatten und sie erziehen wollten, oder wie ihre Eltern, die nur darauf warteten, dass sie wieder etwas falsch machte, damit sie die Köpfe schütteln und darauf hinweisen konnten, wie enttäuscht sie waren …
Jane schien sie so zu mögen, wie sie war, ohne Wenn und Aber. Ohne eine Gegenleistung zu fordern: Sie verlangte nicht, dass sie ihre Hausaufgaben machte, Fleisch aß, gute Noten bekam, um ein gutes College zu besuchen, oder ihr Zimmer aufräumte. Das war schön. Für eine richtige Freundin war Jane offensichtlich zu alt; aber sie kam ihr ein wenig vor wie eine Sporttrainerin, mit der man auf vertrautem Fuß stand, oder wie die Mutter von Kindern, die man als Babysitter hütete. Eine bedingungslose Freundschaft, oder wie immer man es nennen wollte.
So etwas kommt selten vor, dachte Chloe mit Blick auf Mona. Selbst ihre beste Freundin hatte gewisse Erwartungen. Chloe sollte sie über alles auf dem Laufenden halten, ihr sämtliche Geheimnisse anvertrauen und sowohl den Freitag- als auch den Samstagabend zur Verfügung stehen, um zu Hause mit ihr zu faulenzen oder ins Kino zu gehen. Das reichte aus, um einen Menschen zu zermürben.
In diesem Moment nahm sie das Geräusch wahr: Chloes Herz begann zu rasen, und sie verspürte ein Kribbeln im Magen, als der Motor lauter wurde.
»Klingt nach einem Motorrad«, sagte Mona.
»Eine Geländemaschine.« Chloe rückte den Träger ihres Badeanzuges zurecht.
Er bog um die Kurve. Seine blonden Haare hatten helle Strähnen, von der Sonne ausgebleicht, seine Augen einen warmen goldgrünen Farbton. Der Tag war warm, so dass er seine schwarze Lederjacke zu Hause gelassen hatte; sein T-Shirt warb für den Purgatory Chasm Surf Shop. Der Delfin auf seinem Bizeps war nicht zu übersehen. Er hatte eine schmale Bandage ums Handgelenk. Seine Geländemaschine besaß keinen Seitenständer, deshalb lehnte er sie an den Lattenzaun.
»Lebwohl, Gilbert Albert«, sagte Mona im
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