Tanz im Mondlicht
er hatte seine Lederjacke bereits ausgezogen und um ihre Schultern gelegt. Sie hatte noch nie eine Tierhaut getragen. Sie erschrak, aber die Jacke war warm von seinem Körper, und als er sie vorn zuzog, schloss sie die Augen und hatte das Gefühl, als ob sämtliche Sterne vom Himmel fielen. Als sie die Augen wieder öffnete, sah sie ihn in einem zerrissenen, ausgeblichenen weißen T-Shirt vor sich stehen. Auf seinem linken Bizeps hatte er eine Tätowierung.
»Ein Delfin.« Sie berührte seinen Arm.
»Delfine halten Haie fern.«
»Haie?«
»Ich surfe.«
»Wirklich?« Sie stellte ihn sich mit seinen langen blonden Haaren vor, von einer riesigen salzigen Welle überrollt.
»Ja. Am First Beach. Kennst du den Strand?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ach ja, die Ökologie«, sagte er lächelnd. »Man könnte ja ein paar Elritzen plattmachen.«
»So ähnlich«, sagte sie, weil sie nicht zugeben wollte, dass ihre Eltern dem Strandleben nicht viel abgewinnen konnten. Rhode Island wurde der
Ocean State
genannt, aber sie war praktisch nur zu Isabels Zeiten am Strand gewesen, wenn sie ihre Großeltern mütterlicherseits in dem Herrenhaus in Newport besuchten.
»Vielleicht lässt du es ja irgendwann einmal auf einen Versuch ankommen.«
»Vielleicht.«
»Und wenn, dann solltest du daran denken, dass Delfine dich immer vor Haien schützen.« Er sah ihr so tief in die Augen, dass sie seinen Blick bis zum Nabel spürte.
Sie nickte, den Mund leicht geöffnet. Er beugte sich zu ihr hinab, als wollte er sie küssen, sie sah Sterne, und dann hörte sie plötzlich ihren Namen.
»Chloe!« Die Stimme kam vom anderen Ende der Plantage.
»Das ist meine Mutter.«
»Dann solltest du schleunigst nach Hause gehen, bevor sie den Marshal auf die Suche nach dir schickt.« Zeke lächelte, hatte sich wieder aufgerichtet.
»Ja.« Sie trat einen Schritt zurück. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie wünschte sich, er würde sie küssen, sie zum Surfen mitnehmen, ihr seinen Bruder vorstellen. Sie stand wie angewurzelt da. Ihre Mutter rief abermals.
»Ich muss los …«
»Übrigens, vielen Dank.«
»Keine Ursache.«
Die Stimme ihrer Mutter kam näher, und Chloe wollte vermeiden, dass sie Zeke zu Gesicht bekam. Bei dem Gedanken war sie einer Panik nahe. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter ihn entdeckte, ihn anschrie und drohte, seine Eltern oder die Polizei zu benachrichtigen. Deshalb pellte sie sich schnell aus seiner Jacke, drückte sie ihm in die Hand und lief, ohne sich zu verabschieden, in die vom Mond überschattete Plantage hinein.
Kapitel 13
D er Eröffnungstag am Obststand war eine gewagte, aber nicht minder wunderbare Sache. Der Stand war strahlend blau im Sonnenlicht, wie ein Stück Himmel. Der Duft nach frisch gebackenen Pasteten stieg verführerisch aus den Regalen auf. Chloe hatte die feierliche Eröffnung auf selbstgemalten Transparenten angekündigt. Auf einem war eine Apfelpastete mit goldgelber Kruste, auf einem anderen seltsamerweise ein Delfin zu sehen. Mona und sie saßen auf der Bank und warteten auf Kunden, genau wie Dylan und Eli es früher getan hatten.
Dylan behielt die ganze Sache vom Rand der Plantage im Auge. Er hatte sein Bestes getan, um das ausgelaufene Öl zu beseitigen, das einer dieser idiotischen Motorradfahrer hinterlassen hatte, und nun bestrich er die Wurzeln, die unter den schweren Reifen gelitten hatten, mit einer speziellen Farbe, die im Handel zur Kennzeichnung von Baumschäden erhältlich war.
Er hatte mit einer langen Schere einige abgebrochene Äste tief unten am Baum gestutzt, gegen den der Rowdy geprallt war.
Er arbeitete sorgfältig, wie sein Großvater es ihm beigebracht hatte, setzte die Schnitte auf gleicher Höhe wie die Ringe des Baumes, die leichten Erhebungen an der Stelle, wo Ast und Stamm zusammentrafen. Er wusste, dass der Heilungsprozess bei Aststümpfen länger dauerte als bei stammparallelen Schnitten auf die Astringe, da sie einen größeren Wundholzbereich hinterließen, der anfällig für Krankheiten und Fäulnisbefall war.
Er blickte zu Chloe hinüber. Sie beobachtete erwartungsvoll die Straße, als sei sie durch schiere Willenskraft in der Lage, Kunden herbeizuzaubern. Dylan erinnerte sich, dass er früher ähnlich empfunden hatte. Doch diese Landstraße war wenig befahren, und bis sich die Neuigkeit herumgesprochen hatte, waren die Kunden dünn gesät.
Ein paar Minuten später hörte er, wie sich ein Auto näherte. Chloe verrenkte sich den Hals. Mona verließ die
Weitere Kostenlose Bücher