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Tanz mit dem Engel

Tanz mit dem Engel

Titel: Tanz mit dem Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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für seine Arbeit, er sieht gut aus, und er ist ein Snob in seinen Baidessarini- oder Gianni-Versace-Anzügen. Er verzieht allzu selten das Gesicht. Aber er hat Gefühle, und deshalb ist er hier. Er wird nicht zusammenbrechen, aber er hat darüber nachgedacht.
    »Ich werde nicht zusammenbrechen«, sagte Winter.
    »Ich weiß.«
    »Du verstehst es.«
    »Ich höre zu.«
    »Ich habe gehört, daß du gut zuhören kannst.«
    Hanne antwortete nicht. Zuzuhören war für einen Pfarrer eine Selbstverständlichkeit, und seit sie ihren Dienst zwischen der Gemeinde und dem Polizeipräsidium teilte, hatte sie viele Stimmen in den Ohren gehabt. Ältere, aber vor allem die jungen Assistenten draußen in der Stadt oder die jungen Kriminalinspektoren, die direkt von der Polizeihochschule kamen und in ständiger Bewegung auf der Ringstraße um das Göteborg der Gewalt eingesetzt wurden: Nach einem unangenehmen Erlebnis konnten einige wenige für den Rest der Streife freinehmen, aber das reichte nicht, das reichte bei weitem nicht. Sie befanden sich mitten in der Hölle, waren Zeugen und Beteiligte, wenn die Gesellschaft die eigenen Kinder fraß. Verachtung fegte über die Straßen. Es gab keinen Platz mehr für Schwachheit, für die Andersartigen. Keinen Platz für Ehre, dachte sie plötzlich.
    Die Polizisten sprachen mit Hanne Östergaard. Sie saßen auch in ihren eigenen Gruppen zusammen und unterhielten sich. Gerade Winter verstand sich darauf, seine Polizisten dazu zu bringen, über die entsetzlichen Erlebnisse zu sprechen, aber das genügte nicht. Sie überlegte, ob sie hier mehr als drei Tage in der Woche arbeiten sollte. Die hier arbeiten, haben so oft mit Toten zu tun, dachte sie. Verbrannte, Opfer von Verkehrsunfällen, Totgeschlagene, Ermordete. Indirekt werden es meine Erlebnisse. Die Fäden bekommen mich zu packen.
    »Ich fühle mich von diesem Mord an dem Jungen in London emotional so betroffen, daß ich mich frage, ob ich der richtige Mann als Ermittlungsleiter bin«, sagte Winter.
    »Mhm.«
    »Ich hatte geglaubt, ich könnte mit der Trauer um meinen toten Freund fertig werden, aber das wird auch Zeit brauchen.«
    »Natürlich.«
    »Vielleicht brauche ich eine Familie.«
    Hanne Östergaard blickte Winter direkt an, als studierte sie seine blauen Augen oder das, was sich hinter ihnen befinden mochte.
    »Dir fehlt eine Familie?«
    »Nein.«
    »Du sagst, du brauchst vielleicht eine Familie.« »Das ist nicht das gleiche.« Sie erwiderte nichts, wartete ab.
    »Ich lebe ein Leben in selbstgewählter Einsamkeit, und es ist angenehm, die Gelegenheiten selbst zu wählen, wann man sich unterhalten will, aber dann kommen Momente. wie jetzt.«
    Er sah sie an. »Wie jetzt, wo du hier sitzt«, sagte sie. »Ja.«
    Winter schlug wieder ein Bein über. Ihm tat immer noch der Hals weh, ein millimetergroßer Schmerz, ganz unten, wo man nicht hinkam.
    »Es kommt nicht so oft vor, daß man länger nachdenkt, wie man sich hinterher fühlt«, sagte Winter. »Als ich gerade fertig und draußen auf der Straße war und die wirkliche Gewalt sah, dachte ich eine Weile daran, Schluß zu machen, aber dann wurde es besser.«
    »Was wurde besser?«
    »Was?«
    »Waren es die Gefühle, die sich veränderten? Sahst du die Dinge mit nebligerem Blick?«
    »Nebligerer Blick? Ja, vielleicht. Das ist vielleicht ein gutes Bild.«
    »Dann bist du von der Straße weggegangen?«
    »In gewisser Hinsicht. Aber dieses. Entsetzliche gibt es ja noch, auf andere Art.«
    Hanne Östergaard antwortete nicht. Sie sah die zwei Jungen auf der anderen Seite des Schreibtischs vor sich, 25 Jahre alt, kaum zehn Jahre jünger als sie selbst, aber sie hätten genausogut 100 Jahre oder älter sein können, die jungen Polizisten, die als erste in die Wohnung gekommen waren, nach dem Alarm von den Nachbarn, und über dem Körper des zehnjährigen Mädchens gezögert hatten, und tiefer im Wohnzimmer hatte die Mutter gelegen, die noch drei Stunden leben sollte, und der Mann lag da, der danach versucht hatte, sich die Kehle durchzuschneiden. Das Schwein war zu feige, hatte einer der Jungen gesagt. Sie hatten die Tür drei Minuten nach Beginn des neuen Jahres aus den Angeln gehoben. Danach hatten sie da gesessen. Gerade erst vor kurzem.
    Sie wußte, daß Winter jetzt an genau das dachte. Und an etwas anderes.
    »Als ich im Studentenzimmer dieses Satans in Mossen stand, war es, als ob die Gedanken sich schärften, während sie gleichzeitig entfliehen wollten«, sagte Winter, »und das ist

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