Tanz mit dem Engel
Er erriet, daß es am Kopfende des Bettes war. Er drehte vorsichtig den Kopf, um nachzusehen, ob sein Körper einen Schatten auf den Fußboden neben dem Bett warf.
Ich kann mich nicht vorrobben und ihn überraschen, dachte er. Bevor es mir gelingt hinauszukommen, hat er mir den Kopf abgeschlagen.
Es rasselte über ihm. Er hörte eine Reihe Töne, die er wiedererkannte.
»Ich bin etwas spät dran.«
Was für ein unheimliches Erlebnis das ist, hier zu liegen und dieser Stimme zu lauschen, dachte er.
»Ja.«
»Ja...«
»Nein.«
»Deshalb bin ich zurückgegangen.« »Ja.«
»Zehn Minuten.« »Nein.«
»Ich habe mit ihm gesprochen.«
»Zelluloid.«
»Mhm.«
»Mhm.«
»Nein.«
»Mhm.« »Ja.«
»Zehn Minuten.«
Es rasselte wieder stumm, und er sah, wie die Stiefel mit den Spitzen auf ihn gerichtet still standen.
Jetzt kommt es, dachte er.
Es war so still, wie es am Vormittag in einer Wohnung sein kann, wenn die Leute von zu Hause fort sind. Er hörte ein weiches Swiiisch vom Verkehr draußen. Sonst nichts.
Überlegt er oder schaut er direkt unters Bett? Entfernen sich die Stiefel allzu schnell, rolle ich auf der anderen Seite hinaus, und dann müssen wir es von dort ausfechten.
Er machte sich bereit, den Körper zu einem steifen Bogen gespannt.
Jetzt: Die Schuhe bewegten sich auf den Flur zu. Sie gingen hinaus, das Licht wurde gelöscht, und die Tür schlug zu.
Er lag zwanzig Minuten regungslos da, und der Schweiß rann ihm unaufhörlich vom Leib.
Wenn er unter dem Bett saubermacht, schiebt er wohl die Staubsaugerdüse darunter, ohne nachzusehen, oder ist das bloß Wunschdenken? Spielt es eine Rolle, ob er sieht, daß jemand unter seinem Bett gelegen hat? Eine Rolle für mich? Was ist nun das Beste, was ich tun kann? Abgesehen davon, daß ich nie nie nie mehr herkomme, wenn ich es mir aussuchen kann. Aber wenn er nun die Tür von innen zugeschlagen hat? Er wartet draußen im Flur. wie lange kann ich hier noch liegen. ich lausche noch eine Weile. ich habe eine Weile gelauscht. nein, ich rolle mich hinaus.
Er wälzte sich hinaus und richtete sich auf, den Staub wie eine Schicht aus schmutzigem Stadtschnee über dem
Körper. Er ging so vorsichtig er konnte aus dem Zimmer, nahm Staub mit, der auf den Boden rieselte. Er öffnete die Tür zum Treppenhaus und horchte, atmete durch, trat hinaus und ging die Treppe hinunter.
Es zog von der Balkontür, und Winter stand vom Schreibtisch auf, um sie zu schließen. Zuerst machte er die Tür ganz auf und trat hinaus auf den Balkon. Ihn fröstelte, und er spürte von unten den Geruch der Großstadt. Die Straßenbahnen kreischten schwach und in immer größeren Abständen. Ein Nebel vom Kanal wälzte sich durch den Park und über die Allen. Als er die Feuchtigkeit des Nebels spürte, ging er ins Zimmer zurück und schloß die Balkontür hinter sich.
Er hatte eine Weile über dem kurzgefaßten Obduktionsbericht der englischen Polizei gesessen. Es gab eine merkwürdige Ähnlichkeit zwischen den beiden Morden. So etwas war noch nie vorgekommen. Außerdem gab es Eigenartiges in der Vorgehensweise. Die Kollegen in Südlondon hatten die kleinen Abdrücke im geronnenen Blut gefunden. Nicht >die kleinen Abdrücke<, verdammt, Winter, dachte er. Sie hatten kleine Abdrücke gefunden, die an die Abdrücke in dem Zimmer im Studentenheim erinnerten oder erinnern konnten.
Winter war nach Hause gekommen und hatte sich sofort ins Netz eingeschaltet und nach anderen Fällen gesucht. Es gab Konkretes von draußen zu bearbeiten, aber das war meist eine Vorstellung von etwas, eine Illusion: Er sah Bilder, aber die hätten ebensogut aus einem Traum geholt sein können. Er suchte nach Zeichen weit draußen in der elektronischen Nacht und blätterte eine Reihe amerikanischer Datenbanken durch. Erstaunlich viele hatten ihren Ursprung und ihre Heimat in Kalifornien und Texas. Die Sonne und der Sand, das ist es, was die
Menschen verrückt macht, dachte Winter, als das Handy auf dem Tisch läutete. Er zog die Antenne aus und hielt den Apparat ans Ohr.
»Erik!«
Eine Stimme, die knirschte.
»Hallo, Mutter. Gerade habe ich an dich gedacht.«
»Oh.«
»Ich habe an Sonne und Sand gedacht und was die aus den Menschen machen können.«
»Ja, ist das nicht herrlich, Erik. Aber.«
»Du sollst nicht auf dem Handy anrufen, Mutter. Das wird zu teuer für euch.«
»Haha. Aber ich.«
»Ich habe ein Wandtelefon in der Küche.«
Er hörte Gemurmel aus dem Hörer. Er sah sie vor sich, wie sie
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