Tanz mit dem Engel
jungen Fahnder, die gerade erst aus der Polizeihochschule gekommen waren und noch Zynismus besaßen. Schon eine Stichelei aus Rassismus, der sich vertiefen und verbreitern würde, und Winter betrachtete den 25jährigen und prägte sich seinen Namen ein: Nichts für mich, ich bin weit davon entfernt, politisch korrekt zu sein, aber solche kleinen Scheißer will ich nicht haben.
Jamie Robertson war im vierten Stock über der Chalmersgatan gestorben, und Winter dachte kurz an den möglichen Zusammenhang mit dem Studentenheim einige Kilometer weiter. Entweder gab es einen oder es gab keinen.
Es waren schwere Häuser in diesem Teil der Stadt, ineinander verankert und massiv wie eine Felsplatte, die vor Millionen Jahren geschaffen wurde. Die Polizisten bewegten sich auf und ab, klingelten an Türen, Stimmengemurmel, Erinnerungen, Dinge, an die damals keiner gedacht hatte und an die sich deshalb jetzt keiner erinnern konnte.
Lasse Malmström hatte drei Tage lang den Anzug angezogen und war an diesen Tagen zur Arbeit gegangen, und am Nachmittag des dritten Tages hatte ihn alles eingeholt.
Es war nicht nur die Leiche seines Sohnes, die an diesem Nachmittag mit dem Flugzeug kam.
Die Zeit fühlte sich an, als wäre sie aus Stein gebaut. Er hatte furchtbare Gedanken gewälzt. Beim Aufsetzen hatte er eine Sekunde lang gehofft, daß sich einer der Flügel drehen würde und daß.
Danach nichts mehr. Keine Arbeit, keine Anzüge, eine Stille um ihn herum und fast nichts, woran er sich erinnern wollte. Er wußte nichts mehr. Er wollte sich in sich selbst verkriechen.
Ich will nicht behaupten, zu wissen, wie schmerzhaft das ist, aber es ist notwendig, dachte Winter.
Das Zimmer lag im Vormittagslicht. Lasse Malmström suchte Stille, aber keine Dunkelheit. Er war unrasiert, und das ließ die Falten in seinem Gesicht tiefer erscheinen. Er strich sich ununterbrochen über das Kinn. Das war das einzige Geräusch, das zu hören war, wie ein Feilen an etwas oder ein Stöbern in Laub, das sich den Winter über an einer geschützten Stelle trocken gehalten hat.
»Was geht so vor?« sagte er.
»Meinst du etwas Bestimmtes?« fragte Winter.
Lasse Malmström sagte nichts, sondern fiel in sein Schweigen zurück, die Hand in ständiger Bewegung über dem unteren Teil des Gesichts.
»Ich habe die Zeitungen bis vor zweihundert Jahren gelesen«, sagte er, »bis Per. heimkam.«
»Es kann viele Ursachen dafür geben, daß zwei Jungen hier in Göteborg ermordet wurden, ungefähr gleichzeitig wie das mit. Per«, sagte Winter.
»Ursachen?«
»Ich meine Zwecke, wahnsinnige Zwecke, Verrücktheiten. So was alles, Lasse.«
»Ich weiß nicht, ob ich dabei Hoffnung oder Verzweiflung empfinden soll.«
»Wie meinst du das?«
»Da das passiert ist, bedeutet es, daß mehr daran arbeiten, mehr Polizisten an mehr Stellen, und das kann gut sein, unabhängig davon, ob es einen Zusammenhang gibt oder nicht.«
Winter sagte nichts.
»Wenn mehr... getötet werden, bedeutet das, daß man mehr... Kraft einsetzt, daß dies dazu führen kann, daß der. der Per getötet hat, gefaßt werden kann oder gefangen oder wie zum Henker man das nennen soll.«
»Vielleicht ist das so.«
»Ich weiß nicht, jetzt spreche ich von einem Zusammenhang, setze einen voraus, und dabei weiß ich überhaupt nichts, und euch könnte es ja auch so gehen.«
»Wir arbeiten daran und blicken gleichzeitig in andere Richtungen.«
»Du hältst mich immer auf dem laufenden?« fragte Lasse Malmström und blickte Winter direkt in die Augen.
»Selbstverständlich.«
»Du sagst das nicht bloß so dahin?«
»Ohne Rücksicht auf was weiß ich werde ich dich auf dem laufenden halten, so halten wir es immer, und ich denke nicht daran, hier eine Ausnahme zu machen.«
»Gut.«
»Es ist nicht so, daß wir rumsitzen und den Kollegen angucken und hoffen, daß er einen guten Einfall hat. Wir haben die ganze Zeit gute Einfälle, wir haben ein gutes
System, an das wir uns halten, wir kommen gar nicht dazu, zu seufzen, daß nichts geschieht.«
»Okay.«
»Wir bewegen uns ständig vorwärts. Ständig, Lasse. In Wirklichkeit gibt es in einer Ermittlung niemals Stillstand. Es ist eher umgekehrt. Wir kommen nicht nach.«
»Okay.«
Das ist doch wahr, dachte Winter, ich sage das nicht bloß so dahin. Er lauscht. Er hört diesen Hund draußen, der die ganze Welt anbellt. Er hat jetzt seine verdammte Hand vom Kinn genommen. Jetzt stelle ich die Frage.
»Da ist noch was anderes,
Weitere Kostenlose Bücher