Tanz mit dem Engel
oder frustriert und verschroben genug.«
»Noch nicht?«
»Noch nicht, ja, das kommt, aber wir sind noch nicht richtig bereit dafür.«
»Sie wirken ziemlich sicher.«
»Wissen Sie, warum ich darüber überhaupt etwas zu Ihnen sage? Weil es auch bei uns eine Moral gibt.«
»Wie sieht die aus?«
»Was?«
»Wie sieht diese Moral aus? Besteht sie aus Menschenliebe und Gewinnstreben zu gleichen Teilen?«
Der Mann blickte ihn an, als überlege er, wohin er die Leiche nachher kippen sollte.
»Es gibt Grenzen«, sagte er kurz.
»Also nur hier in der Stadt?«
Der Mann antwortete nicht, zupfte an einer Naht am Sakko, strich sich über den Nasenrücken und würde binnen einer Minute aufstehen und für die Aufmerksamkeit danken. Soviel begriff Bergenhem. Würde dieser Mann etwas sagen, wenn er irgendeinen Verdacht in einer Richtung hätte? Das Gerede von Moral hatte groß und hohl getönt, wie das Baßgeräusch durch die Wand. Es hatte gerade aufgehört, die Show legte wohl eine Pause ein.
»Sie haben nie irgendwelche Wünsche von. Gästen gehört, die etwas mehr über irgendwas Spezielles wissen wollten?« fragte Bergenhem.
»Nur von Ihnen«, antwortete der Mann.
»Nichts, was über das sichtbare Sortiment hinausgeht?«
»Das sichtbare Sortiment? Das ist was Neues.«
»Sie wissen, was ich meine.«
»Nein.«
»Sie wissen nicht, was ich meine? Kamen...«
»Ich meine, daß solche Wünsche nicht an mich herangetragen werden, weil wir alles haben, was unsere Gäste sich wünschen könnten. Ich weiß nicht, wie gut Sie mit der modernen Filmkunst vertraut sind, aber ich glaube, Sie würden sich wundern, wieviel heute gesetzlich zulässig ist, Inspektor.«
»Okay.«
»Noch was?«
Im Moment nicht, dachte Bergenhem, aber ich komme wieder. Es gibt etwas, das du hier zu mir gesagt hast und das ich nicht erfaßt habe. noch nicht. Ich hätte ein Tonbandgerät mitnehmen sollen. Ich muß weg und das Gespräch aufschreiben.
»Nein«, sagte Bergenhem und stand auf.
Sie gingen aus dem Zimmer. Bergenhem hörte die Musik wieder anlaufen und ging zum Vorhang und der Öffnung zum Showraum. Er ging hinein, sah nach dem Tanz, die jüngere Frau war da, und sie bewegte sich zu Tina Turners Stimme, die Augen in eine andere Welt gerichtet. Bergenhem blieb stehen. Als er weiterging, sah ihm der Mann nach.
Sie saßen in Ringmars Zimmer. Es war später Nachmittag. Winter las das Verhörsprotokoll.
»Was hältst du davon?« fragte Ringmar.
»Dazu läßt sich nicht viel sagen«, meinte Winter.
»Es war, als ob er sich geschämt hätte«, sagte Ringmar.
»Weil er von dem Brief nichts hat verlauten lassen?«
»Du weißt, was ich meine.«
»Es ist schon schlimm, daß die Leute damit immer noch heimlichtun müssen, trotz aller Offenheit.«
»Kann es irgendeinen anderen Brief geben?« Das war Ringmar, der laut dachte.
»Daß ein anderer Brief eine der Verlockungen für Geoff Hillier war, hierher nach Göteborg zu kommen? Das glaube ich erst, wenn ich ihn sehe.«
»Ist das üblich, das da mit dem Netz?«
Ringmar hatte auf das Protokoll gezeigt.
»Die Leute bekommen ziemlich viel Kontakt durch das Internet«, sagte Winter. »Bei Hillier und dem Jungen hier war es offenbar so.«
»Er konnte aber nicht richtig erklären, warum sie mit gewöhnlichen Briefen weitergemacht haben«, sagte Ringmar.
»Ich habe nachgedacht, warum Hillier von diesem Brieffreund keinen Brief bei sich hatte«, sagte Winter. »Er hatte doch keinen Grund, ihn zu vernichten?«
»Nein.«
»Wo ist er dann?«
»Vielleicht war er nicht der Typ, der Briefe aufhob?«
»Einen Brief von einem Freund? Der ein starker Grund war, daß er hierherfuhr?«
Bertil Ringmar schlug mit den Armen aus wie zur Verteidigung.
»Bestimmt hat er ihn aufgehoben«, meinte Winter, »aber ein anderer hat sich drum gekümmert.«
»Warum?«
»Weil etwas darin stand, was etwas verriet.«
»Was denn?«
»Ich denke darüber nach.«
»Und er hat ihn genommen? Hitchcock hat ihn genommen?«
»Ja.«
»Weil etwas darin stand, was uns einen Hinweis geben könnte?«
»Weiß nicht. Ich denke darüber nach.«
Winter griff nach seinen Corps, sah dann aber ein, wo er war. Ringmar war kein Freund von Zigarillorauch im Zimmer, dessen Kringel und Duft Lichtjahre lang hängenblieben.
»Sollen wir zu mir rübergehen?« fragte Winter.
»Stimmt was nicht mit meinem Zimmer?« sagte Ringmar und lächelte boshaft. »Her mit dem Päckchen.«
»Bitte?«
»Gib mir das stinkende Päckchen«,
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