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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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ich bin hungrig. Wir schlendern ein bisschen herum und holen uns einen echten Hamburger mit viel knusprigem, saftigem Fleisch, Unmengen Tomatenketchup und goldbraun gerösteten Zwiebelringen.«
    Yuki nickte, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Als horte sie die kostbare Zeit, die vom Tag noch übrig war. Ich rollte die Bastmatten zusammen und stellte das Radio aus.
    »Keine Angst, morgen ist auch noch ein Tag. Und danach kommt übermorgen«, tröstete ich sie.
    Sie schaute zu mir auf und lächelte mich an. Ich reichte ihr die Hand, um sie hochzuziehen.

29
    Am nächsten Morgen sagte Yuki, sie wolle ihre Mutter besuchen. Die Adresse hatte sie nicht, aber die Telefonnummer. Also rief ich dort an, stellte mich kurz vor und fragte nach dem Weg. Ame hatte ein Ferienhäuschen in der Nähe von Makaha gemietet, etwa dreißig Autominuten von Honolulu entfernt. Ich sagte, wir kämen gegen eins vorbei. Bei der nächsten Autovermietung besorgte ich einen Mitsubishi Lancer. Es war eine tolle Fahrt: Mit laut aufgedrehtem Radio und heruntergekurbelten Fenstern rauschten wir mit hundertzwanzig Sachen die Küstenstraße entlang. Licht in Hülle und Fülle, salzige Meeresluft und der Duft von Blumen.
    »Lebt deine Mutter eigentlich allein?«, fiel mir plötzlich ein.
    »Von wegen«, schnaubte Yuki. »Sie würde im Ausland niemals längere Zeit allein über die Runden kommen. Sie ist wirklich der unpraktischste Mensch, den ich kenne. Wenn sich niemand um sie kümmern würde, wäre sie total aufgeschmissen. Ich gehe jede Wette ein, dass sie einen Typen bei sich hat, jung und hübsch. So wie Papas Kerlchen. Erinnerst du dich an diesen aalglatten, geleckten Schwulen? Er nimmt bestimmt drei Mal täglich ein Bad und zieht sich mehrmals um.«
    »Schwul ist er?«, fragte ich.
    »Hast du das nicht gemerkt?«
    »Nein.«
    »Trottel! Das erkennt man doch sofort«, sagte sie. »Ich weiß ja nicht, ob Papa auch so veranlagt ist, aber der Typ ist es garantiert. Absolut, zweihundertprozentig.« Im Radio kam Roxy Music, und Yuki drehte die Lautstärke hoch.
    »Mama dagegen hat schon immer eine Schwäche für Dichter gehabt. Junge Dichter, verkannte Dichter – egal. Hauptsache Dichter. Sie lässt sie Gedichte vortragen, wenn sie Filme entwickelt. Das ist ihre Leidenschaft. Komische Marotte. Zwanghaft. Als wäre es ihr Schicksal. Papa hätte auch Gedichte schreiben sollen. Aber er hat überhaupt kein Talent dafür.«
    Exzentrische Familie, dachte ich erneut. Space Family. Ein tatkräftiger Schriftsteller, eine geniale Fotografin, eine PSI-begabte Tochter und die Gefolgschaft: ein schwuler Lakai und dichtende Liebhaber. Hoppla! Welche Rolle spielte ich eigentlich in diesem psychedelischen Clan? War ich der drollige Betreuer, der sich um das abgedrehte Töchterlein zu kümmern hatte? Ich erinnerte mich an das wohlwollende Lächeln, das Freitag mir zugeworfen hatte. Vielleicht war es solidarisch gemeint. Besser nicht darüber nachdenken. Ist ja bloß vorübergehend. Eine Pause, mehr nicht. Kapiert? Sobald die Ferien vorbei sind, werde ich wieder Schnee schaufeln und keine Zeit mehr für eure Spielchen haben. Das alles ist bloß eine zeitweilige Erscheinung, eine Episode, die mit der Haupthandlung nichts zu tun hat. Danach könnt ihr machen, was ihr wollt. Und ich mache meinen Kram. Ich bevorzuge nämlich eine unkomplizierte Welt.
    Ames Anweisungen befolgend, bog ich kurz vor Makaha rechts von der Schnellstraße ab und fuhr auf die Berge zu. Baufällige Hütten, deren Dächer garantiert vom nächsten Taifun fortgerissen werden würden, säumten zunächst auf beiden Seiten den Weg und wurden dann immer spärlicher, bis das Tor der beschriebenen Ferienanlage in Sicht kam. Der indianisch aussehende Wächter fragte uns, zu wem wir wollten. Ich nannte ihm die Nummer von Ames Häuschen, worauf er dort anrief und uns anschließend durchwinkte.
    Das Gelände bestand aus einer riesigen, bestens gepflegten Rasenfläche. Gärtner fuhren in Golfwägelchen umher und kümmerten sich um Rasen und Gewächse. Gelbschnäbelige Vögel sprangen wie Grashüpfer über die grüne Fläche. Ich zeigte einem der Gartenarbeiter die Adresse und erkundigte mich nach dem Weg. Da, sagte er und deutete auf einen Pool, der von Bäumen und Rasen umgeben war. Die schwarze Asphaltstraße bog dahinter scharf ab. Ich dankte ihm und folgte dem hügeligen Weg, der schließlich zu Ames Cottage führte – im modernen tropischen Stil gebaut, umgeben von exotischen Obstbäumen mit mir

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