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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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öffnete wieder mit einer geschickten Bewegung die Flasche und goss ihr ein. Sie wartete, bis der Schaum gesunken war, und leerte mit einem Zug das halbe Glas.
    »Wie lange haben Sie vor, hier zu bleiben?«, fragte sie mich dann.
    »Ich weiß noch nicht«, erwiderte ich. »Ich habe es nicht so genau geplant, aber wahrscheinlich eine Woche. Zur Zeit pausiere ich zwar, aber ich muss demnächst nach Japan zurück und wieder anfangen zu arbeiten.«
    »Sie sollten länger bleiben. Es ist so schön hier.«
    »Ja, das finde ich auch«, sagte ich, aber sie war schon wieder ganz woanders.
    »Haben Sie schon gegessen?«, erkundigte sie sich.
    »Unterwegs, ein Sandwich«, antwortete ich.
    »Was gibt’s denn bei uns zum Lunch?«, fragte sie nun ihren Dichter.
    »Wenn ich mich recht besinne, habe ich uns vor einer Stunde Spaghetti gemacht«, sagte Dick gelassen. »Da war es viertel nach zwölf. Wenn man um die Zeit isst, nennt man das im Allgemeinen Lunch.«
    »Ach ja?«, sagte sie leicht abwesend.
    »Oh ja«, erwiderte er und warf mir ein entschuldigendes Lächeln zu. »Sobald sie in ihre Arbeit vertieft ist, vergisst sie einfach alles um sich herum, wissen Sie? Sie weiß nicht mehr, ob sie etwas gegessen hat oder was sie davor wo gemacht hat. Ein Blackout. Sie kann sich wahnsinnig intensiv konzentrieren.«
    Ich fragte mich, ob das nicht eher ans Psychopathologische grenzte, hielt aber selbstverständlich die Klappe und lächelte höflich.
    Ame starrte völlig geistesabwesend auf ihr Bierglas, schien sich jedoch irgendwann zu besinnen und nahm einen Schluck. »Mag ja sein, aber ich bin trotzdem hungrig. Zumal wir nicht gefrühstückt haben.«
    »Ich will dir ja nicht ständig widersprechen, aber wenn ich dich erinnern darf, hast du heute Morgen Toast, eine Pampelmuse und Yoghurt zu dir genommen«, erklärte Dick North. »Du fandest das ausgesprochen köstlich und hast sogar gesagt, dass ein gutes Frühstück zu den großen Freuden des Lebens gehört.«
    »Ach ja?«, sagte Ame und kratzte sich an der Nase. Sie starrte vor sich hin und schien darüber nachzudenken. Ich fühlte mich an eine Hitchcock-Szene erinnert. Man verlor zunehmend das Gefühl für die Wirklichkeit, bis man schließlich nicht mehr entscheiden konnte, was normal und was verrückt war.
    »Jedenfalls knurrt mir der Magen«, sagte Ame. »Ist doch egal, ob ich schon gegessen habe, oder stört es dich?«
    »Natürlich nicht«, sagte der Dichter lachend. »Es ist dein Magen, nicht meiner. Wenn dir nach Essen ist, iss, soviel du willst. Ist doch prima, wenn man Appetit hat. Bei dir ist es doch immer so – wenn du mit deiner Arbeit vorankommst, entwickelst du einen Riesenappetit. Soll ich dir ein Sandwich machen?«
    »Ja bitte, und bring mir noch ein Bier.«
    » Certainly« , sagte Dick und verschwand in der Küche.
    »Haben Sie denn schon zu Mittag gegessen?«, fragte sie mich wieder.
    »Ich habe vorhin unterwegs ein Sandwich gegessen«, wiederholte ich artig.
    »Und du, Yuki?«
    Nein, lautete ihre knappe Antwort.
    »Ich habe Dick in Tokyo kennen gelernt«, sagte Ame zu mir und kreuzte ihre Beine zum Schneidersitz. Ihre Erklärung war jedoch offenbar für Yuki bestimmt. »Er war derjenige, der mir geraten hat, nach Katmandu zu gehen, es würde mich inspirieren. Katmandu war wirklich wundervoll. Dick hat seinen Arm in Vietnam verloren. Durch eine Landmine. Bouncing Betty heißen sie. Wenn man drauftritt, fliegen sie hoch und explodieren in der Luft. Wumm! Sein Kumpel ist draufgetreten, und Dick verlor seinen Arm. Dick schreibt Gedichte. Er spricht gut Japanisch, nicht wahr? Wir sind eine Zeit lang in Katmandu geblieben und dann hierhergekommen. Nach Katmandu wollten wir unbedingt an einen Ort, wo es warm ist. Und dann hat Dick das Haus hier gefunden. Es gehört einem Freund von ihm. Ich benutze das Gästebad als Dunkelkammer. Ein schönes Plätzchen, findet ihr nicht?«
    Daraufhin stieß sie einen tiefen Seufzer aus, so als wäre alles gesagt, was es zu sagen gab. Sie streckte sich und verstummte. Es herrschte eine tiefe nachmittägliche Stille. Die starken Lichtpartikel draußen flimmerten wie Staub und stoben in alle Richtungen auseinander. Die weiße Neandertalschädelwolke schwebte noch immer am Horizont. Unverändert starrsinnig. Ames Salem war inzwischen im Aschenbecher verglüht.
    Ich versuchte mir vorzustellen, wie Dick North einarmig das Sandwich zubereitete. Wie will er Brot schneiden, wenn er in der rechten Hand das Messer hält? Er muss es natürlich

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