Tanz mit dem Schafsmann
unbekannten Früchten. Über die Veranda gelangte man zum Eingang, an dessen Balken ein Windspiel hing.
Wir parkten, gingen die paar Stufen zur Tür hinauf und klingelten. Das gelegentliche feine Klirren des Windspiels, von einer schläfrigen Brise ausgelöst, mischte sich mit der Vivaldi-Musik, die aus den geöffneten Fenstern drang. Nach ein paar Sekunden öffnete uns ein nicht sehr großer, aber stämmiger, braun gebrannter Amerikaner mit einem Schnurrbart, der ihm ein besonnenes Aussehen verlieh. Er trug ein verblichenes Aloha-Shirt, Shorts und Badelatschen. Das Auffälligste an ihm war jedoch der fehlende linke Arm. Der Mann mochte ungefähr mein Alter haben. Als gut aussehend konnte man ihn nicht bezeichnen, aber er machte einen sympathischen Eindruck. Für einen Dichter wirkte er eigentlich ein bisschen zu robust, aber warum sollte es in der großen, weiten Welt nicht auch Dichter seines Kalibers geben?
Er sah erst mich an, dann Yuki, wieder mich, schob leicht das Kinn vor und lächelte. »Hallo«, begrüßte er uns leise, dann auf Japanisch: »Konnichiwa.« Daraufhin schüttelte er uns beiden die Hand, allerdings nicht sehr kräftig, und bat uns herein. »Dozo, naka ni haitte.« Sein Japanisch war tadellos. Wir wurden in ein geräumiges Wohnzimmer geführt und gebeten, auf einem Sofa Platz zu nehmen. Er verschwand kurz in der Küche und kam mit zwei Dosen Primo, einer Coke und drei Gläsern auf einem Tablett zurück. Wir Männer tranken unser Bier, doch Yuki rührte ihr Getränk nicht an. Er ging hinüber zur Stereoanlage, wo immer noch Vivaldi spielte, und drehte sie leiser. Das Zimmer besaß eine große Fensterfront, einen Deckenventilator, und die Wände waren mit polynesischem Kunsthandwerk dekoriert. Es wirkte wie aus einem Roman von Somerset Maugham.
»Sie ist gerade beim Entwickeln. In zehn Minuten kommt sie«, erklärte er. »Noch ein bisschen Geduld. Ich heiße übrigens Dick. Dick North. Ich wohne hier mit Ame.«
»Angenehm«, sagte ich, während Yuki schweigend aus dem Fenster starrte.
Zwischen Obstbäumen schimmerte das blaue Meer hindurch. Am Horizont schwebte eine einzelne Wolke, deren Form dem Schädel eines Neandertalers ähnelte. Sie hing da wie festgenagelt und machte keine Anstalten weiterzuziehen. Eine ausgesprochen starrsinnige Wolke. Schneeweiß gebleicht, gestochen scharf umrissen. Hin und wieder flatterten zwitschernde gelbschnäbelige Vögel an der Wolke vorbei. Als die Vivaldi-Musik zu Ende war, ging Dick North zum Plattenspieler, hob die Nadel ab, steckte die Platte einhändig in die Hülle und stellte sie ins Fach zurück.
»Sie sprechen ausgezeichnet Japanisch«, bemerkte ich, da mir nichts Besseres einfiel.
Dick nickte, hob eine Augenbraue, schloss kurz die Augen und lächelte. »Ich habe lange in Japan gelebt«, sagte er und machte eine längere Pause. »Zehn Jahre. Das erste Mal war ich während des Krieges, während des Vietnam-Krieges, in Japan. Es gefiel mir dort, und ich habe dann an der Sophia-Universität studiert. Jetzt schreibe ich Gedichte.«
Sieh an, dachte ich. Nicht mehr jung und auch nicht besonders gut aussehend, aber ein Dichter.
»Außerdem übersetze ich japanische Haikus und andere Lyrik ins Englische«, fügte er hinzu. »Anspruchsvolle Arbeit. Sehr schwierig.«
»Kann ich mir vorstellen«, sagte ich.
Er fragte, ob ich noch ein Bier wolle. Ich bejahte, und er kam mit zwei neuen Dosen zurück. Mit erstaunlicher Geschicklichkeit und Anmut entfernte er einhändig den Dosenverschluss, goss uns ein und nahm genussvoll einen Schluck. Er stellte das Glas ab, schüttelte den Kopf und schaute zu dem Andy-Warhol-Poster an der Wand, als wollte er es begutachten.
»Es ist doch komisch, man hört nie von einarmigen Poeten«, sagte er schließlich. »Wieso eigentlich? Es gibt doch auch einarmige Maler, einarmige Pianisten, einarmige Baseballspieler. Warum sollte es keine einarmigen Dichter geben? Da spielt es nun wirklich keine Rolle, ob man einen oder drei Arme hat.« Da hatte er nicht Unrecht. Auf die Anzahl der Arme kommt es beim Gedichte-Schreiben wirklich nicht an.
»Fällt Ihnen etwa einer ein?«
Ich schüttelte den Kopf. Um ehrlich zu sein, kenne ich mich auf diesem Gebiet ohnehin nicht besonders gut aus. Mir fallen nicht einmal viele zweiarmige Lyriker ein.
»Es gibt ein paar einarmige Surfer«, fuhr er fort. »Sie paddeln mit den Füßen, und nicht mal schlecht. Kann ich übrigens auch.«
Yuki stand auf und ging zum Plattenregal hinüber. Nach
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