Tanz mit dem Schafsmann
ihren Grimassen zu urteilen, schien jedoch für ihren Geschmack nichts dabei zu sein. Ohne Musik war die Umgebung einschläfernd still. Ab und zu hörte man das Brummen eines Rasenmähers, Stimmen, die sich etwas zuriefen, das leise Klirren des Windspiels. Und Vogelgezwitscher. Dennoch herrschte eine überwältigende Stille. Jedes Geräusch wurde im Nu von der Stille verschluckt, spurlos. Als saugten draußen Tausende von durchsichtigen Schweigemännern mit durchsichtigen, lautlosen Staubsaugern ein Geräusch nach dem anderen auf. Sobald etwas aufmuckte, stürzten sie herbei, um es zu eliminieren.
»Es ist sehr ruhig hier«, bemerkte ich.
Dick North nickte, betrachtete andächtig seine eine Handfläche und nickte abermals.
»Ja, die Stille. Das ist das Allerwichtigste. Besonders für die Art von Tätigkeit, die Ame und ich ausüben. Lautes, hektisches Treiben ist nichts für uns. Lärm und Klamauk können wir beide nicht ausstehen. Finden Sie Honolulu nicht sehr laut?«
Fand ich eigentlich nicht, aber um das Gespräch am Laufen zu halten, stimmte ich zu. Yuki starrte weiterhin ungnädig aus dem Fenster. Man sah ihr an, was sie dachte: Was für ein Schwachsinn.
»Kavai gefällt mir besser. Ruhig, wenig Betrieb. Ich würde lieber dort leben. Oahu nervt mich. Unmengen Touristen, zu viel Verkehr, zu viel Kriminalität. Aber Ame muss aus beruflichen Gründen hier bleiben. Sie muss zwei, drei Mal in der Woche nach Honolulu, ihrer Ausrüstung wegen und auch, um Kontakte zu knüpfen, Leute zu treffen. Sie porträtiert die Menschen, die hier leben, Fischer, Gärtner, Bauern, Köche, Straßenarbeiter, Fischhändler und so weiter. Sie ist eine phantastische Fotografin. Ihre Aufnahmen sind genial.«
Bisher hatte ich Ames Arbeiten noch nicht mit einer solchen Begeisterung betrachtet, stimmte aber vorsichtshalber zu. Yuki gab ein undefinierbares Schnauben von sich.
Dick fragte mich nach meiner Arbeit.
Ich sei freischaffender Autor, sagte ich. Er schien sich für meine Arbeit zu interessieren, wahrscheinlich hielt er mich für einen Berufsverwandten zweiten Grades. Auf seine Frage, was ich denn schriebe, hatte ich meine Standardantwort parat: Alles, was mir in die Quere kommt. Wie Schneeschaufeln.
Schneeschaufeln, wiederholte er vielsagend und dachte ernsthaft darüber nach. Er schien nicht so recht zu begreifen, was ich damit meinte. Ich wollte es ihm gerade erläutern, als Ame ins Zimmer trat.
Ame trug ein kurzärmliges Jeanshemd und weiße, abgetragene Shorts. Sie war ungeschminkt und zerzaust, als wäre sie gerade aufgestanden. Dennoch wirkte sie ausgesprochen attraktiv. Sie wies die gleiche hochmütige Eleganz auf, die ich schon damals im Speisesaal des Dolphin Hotel an ihr bemerkt hatte. Sobald sie einen Raum betrat, zog sie für einen Moment die Blicke aller Anwesenden auf sich. Man spürte sofort, dass sie etwas Besonderes war. Unmittelbar, kommentarlos. Sie brauchte sich nicht zu erklären. Ame ging schnurstracks, ohne ein Wort der Begrüßung, zu ihrer Tochter, verwuschelte ihr zärtlich das Haar und presste die Nase an ihre Schläfe. Yuki wirkte nicht gerade begeistert, leistete aber auch keinen Widerstand. Sie schüttelte bloß ihr Haar, um es wieder zu glätten, und schaute gleichgültig zur Vase auf dem Regal. Es war jedoch bei weitem nicht die Teilnahmslosigkeit, die sie ihrem Vater gegenüber demonstriert hatte. An ihren Gesten konnte man flüchtige Gefühlsschwankungen ablesen, unausgesprochen bestand zwischen Mutter und Tochter eine seelische Kommunikation.
Ame und Yuki, Regen und Schnee. Wie konnte man nur so heißen? Idiotische Namen. Makimura hatte Recht, es klang wie eine Wettervorhersage. Wie hätte wohl ein zweites Kind geheißen?
Ame und Yuki verständigten sich wortlos. Kein »Wie geht’s« oder »Was hast du getrieben?«. Nur Haare wurden verwuschelt und eine Nase an eine Schläfe gepresst, sonst nichts. Dann kam Ame zu mir herüber und setzte sich neben mich, holte eine Packung Salem aus ihrer Brusttasche und zündete sich eine an. Ihr Dichter holte einen Aschenbecher und stellte ihn feierlich auf den Tisch. Klong. Als gäbe er an angemessener Stelle einen effektvollen Schmuckvers zum Besten. Ame warf das abgebrannte Streichholz in den Aschenbecher, blies den Rauch aus und schniefte.
»Tut mir leid, aber ich konnte meine Arbeit nicht im Stich lassen«, entschuldigte sie sich. »Ich kann nicht mittendrin aufhören, wenn ich einmal angefangen habe.«
Der Dichter brachte Ame ein Bier,
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