Tanz mit dem Schafsmann
stand ebenfalls auf. Er gab Ame einen sanften Kuss auf die Stirn und stattete sich mit einer weißen Leinenkappe und einer grünen Ray-Ban-Sonnenbrille aus. »Bis bald. Unterhaltet euch gut.« Dann nahm er mich am Arm und sagte: »Gehen wir. Der Strand hier ist großartig.«
Yuki zog leicht die Schultern ein und warf mir einen leeren Blick zu. Ame steckte sich gerade eine dritte Salem an. Wir ließen Mutter und Tochter allein und traten in die Nachmittagssonne hinaus.
Als ich uns in dem Lancer zum Strand fuhr, meinte Dick, mit einer Prothese wäre Autofahren für ihn kein Problem, aber er ziehe es vor, keine zu tragen.
»Das ist so unnatürlich«, erklärte er. »Es würde mich nur nervös machen. Eine Prothese mag praktisch sein, aber sie bleibt nun einmal ein Fremdkörper, etwas, das nicht zu mir gehört. Ich versuche, mein Leben einarmig zu bewältigen. So bin ich vielleicht ein bisschen eingeschränkt, aber ich komme mit meinem eigenen Körper zurecht.«
»Wie machen Sie das eigentlich beim Brotschneiden?«, wagte ich zu fragen.
»Brot schneiden?« Er dachte einen Moment nach, als begreife er meine Frage gar nicht. Dann dämmerte es ihm. »Ach so, das. Na klar, eine berechtigte Frage aus Ihrer Sicht. Ganz einfach. Ich schneide es natürlich mit einer Hand, aber ich halte das Messer nicht in der üblichen Weise. Das würde nicht klappen. Der Trick ist, das Brot mit dem Finger zu fixieren, während man schneidet. Das geht dann ruckzuck – so.« Er versuchte es mir zu demonstrieren, aber ich konnte mir immer noch nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Noch dazu, wo seine Scheiben viel sauberer geschnitten waren als die von zweiarmigen Menschen.
»Es klappt vorzüglich«, sagte er lachend, als er mein ungläubiges Gesicht sah. »Die meisten Dinge lassen sich mit einer Hand bewältigen. Ich kann zwar nicht klatschen, dafür aber Liegestütze. Auch am Reck turnen. Alles reine Übungssache. Was haben Sie angenommen, wie ich Brot schneide?«
»Vielleicht mit einem Fuß oder so …«
»Wie pfiffig! Ich sollte ein Gedicht darüber schreiben. Ein Gedicht über einen einarmigen Poeten, der mit Hilfe eines Fußes Sandwiches zubereitet. Sehr pfiffig.«
Ich wusste nicht, ob ich ihm beipflichten sollte.
Wir fuhren ein Stück die Küstenstraße entlang und hielten an, um einen Sechserpack Bier zu kaufen, den er unbedingt bezahlen wollte. Dann gingen wir zu einem etwas abgelegenen Strand, machten es uns bequem und tranken ein Bier nach dem anderen. Es machte mich überhaupt nicht betrunken, vielleicht weil es so heiß war.
Der Strand war ganz untypisch für Hawaii. Unansehnliche niedrige Büsche, holpriger Strand, aber immerhin weitab von den Touristen. Ein Stück weiter parkten ein paar Laster, und einheimische Familien planschten im Wasser. Vielleicht ein Dutzend hiesiger Surfer waren in der Brandung. Die Schädelwolke hing immer noch wie angenagelt am Himmel, und Scharen von Möwen kreisten in der Luft. Es sah aus wie der Strudel einer rotierenden Waschmaschine. Wir schauten gedankenverloren aufs Meer und tranken Bier. Das Gespräch tröpfelte dahin. Dick erzählte, wie sehr er Ame bewundere. Sie sei eine wahre Künstlerin. Wenn von ihr die Rede war, glitt er immer mehr ins Englische hinüber, da er seine Gefühle auf Japanisch nicht so gut ausdrücken konnte.
»Seit ich sie kennen gelernt habe, hat sich meine innere Einstellung zur Lyrik stark verändert. Ihre Fotografien – wie soll ich sagen – entblößen gewissermaßen die Dichtkunst. Wofür unsereins nach Worten sucht, stellen ihre Bilder augenblicklich dar. Verkörperungen. Aus der dünnen Luft, aus dem Licht, den Zeitintervallen kann sie etwas heraufbeschwören. Die Seelenlandschaften im tiefsten Inneren der Menschen treten in ihren Bildern zum Vorschein. Verstehen Sie, was ich meine?«
So ungefähr, sagte ich.
»Manchmal erschrecke ich, wenn ich ihre Fotos betrachte. Ich spüre dann, wie gefährdet meine Existenz ist. So überwältigend sind sie. Sagt Ihnen das Wort dissilient etwas?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie könnte man das auf Japanisch beschreiben? So wie wenn etwas zerspringt oder zerplatzt. Peng! Plötzlich und unerwartet zerspringt die Welt. Dinge wie Zeit oder Licht zerplatzen – bersten. Augenblicklich. Sie ist ein Genie. Ganz anders als Sie und ich. Aber entschuldigen Sie, ich weiß ja gar nichts über Sie.«
Ich schüttelte den Kopf. »Schon in Ordnung. Ich verstehe schon, was Sie meinen.«
»Genies sind sehr rar. Solchen
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