Tanz mit dem Schafsmann
fixieren. Aber wie? Mit dem Fuß? Schwierige Frage. Wenn er gute Verse schmiedet, schneidet sich das Brot dann von allein? Wieso trug er eigentlich keine Prothese?
Ein wenig später erschien Dick mit einem Teller hübsch arrangierter Gurken- und Schinkenbrote, nach englischer Art in Häppchen geschnitten und mit Oliven garniert. Sie sahen köstlich aus. Bewundernswert, wie gut er das hingekriegt hatte. Dann öffnete er die Bierdose und goss Ame ein Glas ein.
»Danke, Dick«, sagte sie, und dann zu mir: »Dick kann wunderbar kochen.«
»Wenn es einen Kochwettbewerb für einarmige Dichter gäbe, würde ich sofort den ersten Preis gewinnen«, sagte er augenzwinkernd.
Ame bot mir ein Häppchen an, und es schmeckte wie erwartet köstlich. Eine geradezu lyrische Komposition. Frische Zutaten, raffinierte Zubereitung, der Reim stimmte. Ich lobte ihn, fragte mich aber nach wie vor, wie Dick das Brot geschnitten haben mochte. Natürlich stellte ich die Frage nicht laut. Dick schien ein patenter Kerl zu sein. Während Ame die Sandwiches verspeiste, hantierte er schon wieder in der Küche herum, um für uns Kaffee zu machen. Auch der schmeckte wunderbar.
»Sagen Sie, macht es Ihnen nichts aus, mit Yuki zusammen zu sein?« Ame nahm die Konversation wieder auf.
»Wie meinen Sie das?« fragte ich zurück, denn ich verstand nicht, worauf sie hinauswollte.
»Na ja, wegen der Musik. Dieser laute Rock. Ist das nicht eine Tortur für Sie?«
»Eigentlich nicht«, erwiderte ich.
»Wenn ich dieses Zeug länger als dreißig Sekunden hören muss, kriege ich Kopfschmerzen. Ich bin mit Yuki gern zusammen, aber diese Musik ist nicht zum Aushalten.« Dabei presste sie ihre Zeigefinger gegen die Schläfen. »Ich kann eigentlich nur Barockmusik, bestimmte Arten von Jazz und Ethno-Musik ertragen. Musik, die mich beruhigt. Das mag ich. Ich mag auch Gedichte. Harmonie und Ruhe.«
Sie zündete sich eine weitere Zigarette an, nahm einen Zug und legte sie gleich wieder in den Aschenbecher. Ich war mir sicher, sie würde sie vergessen, und das tat sie auch. Ein Wunder, dass sie bisher noch nicht das Haus in Brand gesetzt hatte. Langsam begann ich zu begreifen, was Makimura gemeint hatte, als er sagte, Ame hätte sein Leben und sein Talent ausgelaugt. Ame gab nichts, sie nahm nur. Sie beutete ihre Umgebung aus, um sich zu erhalten. Und alle um sie herum gaben immer. Ihr Talent manifestierte sich in einer mächtigen Saugkraft. Und sie hielt das für ihr selbstverständliches Privileg. Harmonie und Ruhe. Damit sie das bekam, mussten alle ihr zu Diensten sein. Was geht mich das an, hätte ich am liebsten aufgeschrien. Ich mache hier schließlich Ferien. Danach werde ich wieder Schnee schaufeln. Dieser ganze idiotische Quatsch wird sich dann ganz von selbst in Wohlgefallen auflösen. Ich habe gegenüber ihrem brillanten Talent absolut nichts vorzuweisen. Und selbst wenn, würde ich es nur für mich nützen. Ich bin doch bloß durch die Wirren des Schicksals vorübergehend hierher – an diesen absurden Ort – getrieben worden. Am liebsten hätte ich es lauthals herausgebrüllt. Aber vermutlich hätte mich sowieso niemand gehört. In diesem wunderlichen Clan zählte ich zur dienenden Klasse.
Die Wolke am Horizont hatte sich, ohne ihre Form zu verändern, leicht gehoben. Wenn man dort am Himmel eine Bambusstange aus einem Boot strecken würde, könnte man sie vermutlich angeln. Der gigantische Schädel eines gigantischen Neandertalers. Aus irgendeiner geschichtlichen Kluft aus dem Luftraum über Honolulu gefallen. Vielleicht gehöre ich der gleichen Spezies an, teilte ich der Wolke mit.
Als Ame ihr Sandwich verzehrt hatte, ging sie noch einmal zu Yuki hinüber und fuhr ihr mit den Fingern durchs Haar. Ihre Tochter blickte ausdruckslos auf die Kaffeebecher, die auf dem Tisch standen. »Was für schönes Haar«, sagte Ame. »Solche Haare hätte ich auch gern. Glänzend und seidig glatt. Meine Haare sind immer zottelig, da hilft nichts. Nicht wahr, meine Prinzessin?« Dann presste sie wieder ihre Nasenspitze gegen Yukis Schläfe.
Dick North räumte das Geschirr ab und legte Kammermusik von Mozart auf. »Möchten Sie noch ein Bier?«, fragte er mich. Ich lehnte dankend ab.
»Dick, ich habe etwas Familiäres mit Yuki zu besprechen«, sagte Ame etwas spitz. »Hörst du? Ein persönliches Gespräch zwischen Mutter und Tochter. Zeig ihm doch inzwischen den Strand. Ich nehme an, eine Stunde reicht uns.«
»Kein Problem«, sagte Dick und erhob sich. Ich
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