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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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glanzvoller Ferientag. Nach dem Frühstück zogen wir Badesachen an, und da Yuki den Wunsch geäußert hatte, surfen zu lernen, liehen wir uns zwei Surfbretter und gingen damit zum Sheraton Beach. Ein Freund hatte mir einmal ein paar Anfängertechniken gezeigt, und die versuchte ich jetzt Yuki beizubringen. Sie begriff schnell, ihr Körper war geschmeidig, und sie bewies ein gutes Gespür fürs Timing. Nach einer halben Stunde verstand sie es besser als ich, auf den Wellen zu reiten. Es mache ihr großen Spaß, sagte sie.
    Nach dem Lunch ging ich mit ihr zu einem Surfshop am Einkaufszentrum Ala Moana und kaufte uns zwei gebrauchte Boards. Der Verkäufer erkundigte sich nach unserem Körpergewicht und suchte dann die passenden Bretter heraus. »Seid ihr Geschwister?« fragte er uns. Der Einfachheit halber sagte ich ja, ganz erleichtert, dass wir nicht für Vater und Tochter gehalten wurden.
    Um zwei waren wir wieder am Strand und faulenzten. Sonnen, schwimmen, dösen, Radio hören, schmökern, Leute beobachten, dem Rascheln der Palmen lauschen. Die Sonne bewegte sich langsam auf ihrer vorgeschriebenen Bahn. Als es zu dämmern begann, gingen wir ins Hotel zurück, duschten, aßen Spaghetti und Salat und sahen uns dann im Kino einen Spielberg-Film an. Danach schlenderten wir ein bisschen umher und landeten schließlich in der Halekulani Pool-Bar, wo ich meine geliebte Piña Colada bestellte und Yuki Fruchtsaft.
    »Darf ich wieder einen Schluck davon haben?«, fragte sie und deutete auf meinen Cocktail. »Bitte«, sagte ich und schob ihr das Glas hin. Sie sog mit dem Strohhalm etwa zwei Zentimeter weg. »Mmm, ist das lecker«, sagte sie. »Schmeckt ein bisschen anders als gestern.«
    Ich bestellte eine weitere Piña Colada, die ich ihr dann ganz überließ.
    »Die kannst du austrinken. Wenn du mich jeden Abend begleitest, bist du in einer Woche die beste Piña-Colada-Expertin aller japanischen Mittelschüler.«
    Am Pool spielte eine Tanzmusikband Frenesi . Ein alter Klarinettist blies ein langes, herrliches Solo, eine Reminiszenz an Artie Shaw, und ein Dutzend Rentnerpaare in Abendkleidung tanzte dazu. Ihre von der Poolbeleuchtung angestrahlten Gesichter wirkten chimärenhaft. Sie sahen glücklich aus. An ihrem Lebensabend waren sie endlich nach Hawaii gelangt. Anmutig glitten sie dahin, mit akkuraten, pflichtgetreuen Schritten. Die Männer tanzten mit straffem Rücken und eingezogenem Kinn, die Frauen drehten sich beschwingt in langen, wehenden Abendroben. Fasziniert beobachteten wir die Paare, ihr Anblick stimmte mich merkwürdigerweise ganz ruhig, vielleicht weil ihre Gesichter so selig wirkten. Die Band wechselte zu Moon Glow über, und die Paare tanzten nun Wange an Wange.
    »Ich bin schon wieder müde«, sagte Yuki.
    Diesmal ging sie ohne meine Unterstützung zum Hotel zurück. Sie machte Fortschritte.
    Als ich wieder in meinem Zimmer war, setzte ich mich mit einer Flasche Wein vor den Fernseher und schaute mir den Western Hang ’Em High an. Schon wieder Clint Eastwood. Und immer noch kein Grinsen. Als ich beim dritten Glas angelangt war, wurde ich müde und verzichtete auf den Rest des Films. Vor dem Schlafengehen putzte ich mir noch die Zähne. Der Tag war vorbei. War es ein sinnvoller Tag gewesen? Konnte man nicht gerade sagen. Ging gerade noch so durch. Morgens hatte ich Yuki das Surfen beigebracht, dann hatten wir Bretter gekauft, ein Abendessen zu uns genommen, E. T. im Kino gesehen, in der Halekulani-Bar zwei Piña Colada getrunken und den elegant tanzenden Senioren zugeschaut. Yuki war beschwipst, und ich brachte sie zum Hotel zurück. Ein typischer Tag auf Hawaii, weder gut noch schlecht. Auf jeden Fall war er zu Ende.
    Dachte ich zumindest. Aber manchmal kommt es eben anders, als man denkt.
    Ich zog mich bis auf T-Shirt und Unterhose aus und ging zu Bett. Etwa fünf Minuten, nachdem ich das Licht gelöscht hatte, klingelte es plötzlich an der Tür. Na großartig, dachte ich. Es war kurz vor zwölf. Ich schaltete die Nachttischlampe an, zog mir eine Hose über und ging zur Tür. Es hatte bereits zum dritten Mal geklingelt. Vermutlich Yuki. Wer sollte sonst um die Uhrzeit etwas von mir wollen? Ich vergewisserte mich also gar nicht erst, wer draußen stand, und öffnete die Tür. Doch es war nicht Yuki, sondern eine unbekannte junge Frau.
    »Hi«, grüßte sie.
    »Hi«, grüßte ich automatisch zurück.
    Sie schien eine Südostasiatin zu sein, Thailänderin oder Philippina oder Vietnamesin. Ich kannte

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