Tanz mit dem Schafsmann
Beziehung, die über unser Mutter-Tochter-Verhältnis hinausgeht. Wenn man so will, eine Blutsfreundschaft.«
Ich seufzte und schüttelte den Kopf, was natürlich auch keine Lösung brachte.
Auf der Rückfahrt hörten wir nur Musik und sprachen kein Wort. Hin und wieder pfiff ich leise mit, aber sonst herrschte Schweigen. Yuki starrte die ganze Zeit mit abgewandtem Gesicht aus dem Fenster, und auch ich hatte nichts zu sagen. Etwa fünfzehn Minuten fuhr ich so weiter. Dann merkte ich, dass sich in meinem Kopf eine Vorahnung zusammenbraute, geschwind wie ein lautloses Geschoss mit der klein geschriebenen Warnung: Halte besser irgendwo an.
Also tat ich genau das und fuhr auf einen Parkplatz am Strand. Ich fragte Yuki, ob sie sich nicht wohl fühle. »Ist wirklich alles in Ordnung? Willst du etwas trinken?« Yuki schwieg beharrlich. Ein suggestives Schweigen. Ohne noch etwas zu sagen, behielt ich im Auge, worauf diese Andeutung hinauslief. Mit den Jahren lernt man, ein Anzeichen zu deuten. Man lernt abzuwarten, bis es eine konkrete Gestalt annimmt. Zu warten, bis die Farbe getrocknet ist.
Zwei Mädchen in haargenau den gleichen knappen schwarzen Badeanzügen schlenderten nebeneinander unter den Palmen entlang, geschmeidig wie Katzen, die auf einem Zaun balancieren. Sie liefen barfuß, und ihre Schwimmbekleidung sah aus wie eine wilde Patchwork-Kreation aus Minitaschentüchern, die ein starker Windstoß sofort wegpusten würde. Von den beiden Mädchen ging etwas alptraumhaft Surreales, Unwirkliches aus, während sie langsam von links nach rechts mein Blickfeld kreuzten und dann verschwanden.
Bruce Springsteen sang Hungry Heart . Ein schöner Song. Die Welt ist noch nicht ganz verloren. Der DJ fand den Song ebenfalls gut. Ich kaute an den Nägeln und schaute zum Himmel empor. Die Schädelwolke hing noch immer da, schicksalsschwer. Hawaii. Am Rande der Welt. Eine Mutter wünscht sich ihre Tochter zur Freundin. Die Tochter aber braucht viel mehr eine Mutter als eine Freundin. Sie verfehlen sich. Sie kann nirgendwo hin. Die Mutter hat einen Geliebten. Einen einarmigen, heimatlosen Dichter. Auch der Vater hat einen Geliebten. Einen schwulen Assistenten namens Freitag. Die Tochter kann nirgendwo hin.
Zehn Minuten später legte Yuki ihren Kopf an meine Schulter und begann zu weinen. Erst leise, dann brach sie in lautes Schluchzen aus. Die Hände artig auf den Knien, ihr Gesicht an meiner Schulter vergraben, weinte sie. Ich kann dich gut verstehen. Kein Wunder. An deiner Stelle würde ich auch weinen. Ich hatte den Arm um sie gelegt und ließ sie einfach weinen. Der Ärmel meines Hemdes war schon ganz durchgeweicht. Sie schluchzte und schluchzte. Ihre Schultern bebten heftig, und ich hielt beschützend den Arm um sie und schwieg.
Zwei Polizisten mit Sonnenbrillen und blitzenden Revolvern überquerten den Parkplatz. Ein deutscher Schäferhund streunte lechzend durch die Gegend und verschwand irgendwo. Palmwedel raschelten. Ein Hüne von einem Samoaner stieg aus einem Ford-Lieferwagen und lief mit einem hübschen Mädchen zum Strand. Im Radio lief die J. Geils Band mit dem alten Hit Dance Paradise .
Nach dem ausgiebigen Weinkrampf schien sich Yuki langsam wieder zu beruhigen.
»Nenn mich nie wieder Prinzessin, hörst du?«, sagte sie, das Gesicht immer noch an meiner Schulter.
»Habe ich das getan?«, fragte ich.
»Ja, hast du.«
»Ich erinnere mich gar nicht.«
»In der Nacht auf dem Rückweg von Tsujidô. Sag das nie wieder.«
»Versprochen. Ich schwöre bei Boy George und Duran Duran, dass ich dich nie wieder so nennen werde.«
»Mama sagt das nämlich immer zu mir, Prinzessin.«
»Versprochen.«
»Sie verletzt mich immer wieder, ohne es zu wissen. Und sie liebt mich. Das tut sie doch?«
»Ja, das tut sie.«
»Was soll ich bloß machen?«
»Erwachsen werden.«
»Ich will aber nicht.«
»Dir wird nichts anderes übrig bleiben«, sagte ich. »Jeder muss das, ob man nun will oder nicht. Man wird älter und stirbt irgendwann mit seinen ungelösten Problemen. Das ist nun mal so. Früher wie heute. Du bist nicht die Einzige.«
Sie hob den Kopf und schaute mich mit verheultem Gesicht an. »Du verstehst es kein bisschen, andere Menschen zu trösten.«
»Ich habe dich doch getröstet.«
»Das ging aber voll daneben«, sagte sie und schob meinen Arm weg. Sie kramte ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase.
»Also dann«, sagte ich pragmatisch und fuhr vom Parkplatz herunter. »Wenn wir zurückkommen,
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