Tanz mit dem Schafsmann
nicht so undenkbar. Ich stellte mir vor, dass ich mit einem Fuß ihre Tür blockierte – genau wie der unsägliche Kommissar neulich – und zu ihr sagte: »Du musst mit mir schlafen. Unbedingt.« Und dann würde ich mich mit ihr hinlegen und sie behutsam entkleiden, als packte ich ein Geschenk aus. Ihr den Mantel ausziehen, die Brille abnehmen, den Pullover über den Kopf streifen. Dann würde sie sich in May verwandeln.
»Kuckuck« , sagte May. »Findest du meinen Körper aufregend?«
Bevor ich antworten konnte, war die Nacht vorbei. Kiki lag neben mir. Gotandas grazile Finger glitten über ihren Rücken. Die Tür ging auf, und Yuki betrat den Raum. Sie sah mich und Kiki eng umschlungen im Bett liegen. Nicht Gotanda, sondern ich lag da. Nur die Hand war seine. Ich war derjenige, der mit Kiki schlief.
»Das darf doch nicht wahr sein!«, rief Yuki. »Ich kann das einfach nicht glauben.«
»Es ist nicht so, wie du denkst«, sagte ich.
»Was ist denn los?«, wiederholte Kiki zum soundsovielten Male.
Ein Tagtraum. Ein wüster, chaotischer Tagtraum.
Es ist nicht so , erklärte ich. Yumiyoshi ist diejenige, mit der ich schlafen möchte. Aber daraus wurde nichts. Alles ging drunter und drüber.
Die Verknüpfungen verhedderten sich. Zuerst muss ich das Knäuel entwirren. Sonst bleibt mir am Ende gar nichts.
Ich verließ das Gelände des Meiji-Schreins und ging in ein vorzügliches Café in einer Seitenstraße in Harajuku, wo ich einen starken, heißen Kaffee trank. Danach ging ich gemütlich nach Hause.
Am späten Nachmittag rief Gotanda an.
»Hör mal, im Moment bin ich arg im Stress«, sagte er. »Können wir uns heute Abend sehen? So gegen acht oder neun?«
»Klar, ich habe Zeit.«
»Gut, lass uns was essen und trinken gehen. Ich hol’ dich ab.«
Ich packte meine Reisetasche aus und sichtete die Reisequittungen. Säuberlich sortierte ich sie in solche für Makimura und meine eigenen. Die Hälfte der Mahlzeiten und den Leihwagen sollte er bezahlen, ebenso Yukis persönliche Ausgaben – Surfbrett, Kassettenrekorder, Badeanzug … Ich schrieb sämtliche Posten auf und steckte die Liste in einen Umschlag. Die restlichen Travellerschecks legte ich dazu; ich würde sie bei der Bank einlösen und ihm das Geld so bald wie möglich zurückgeben. Solche Dinge erledige ich immer schnell und gewissenhaft, nicht weil ich Bürokram mag, sondern weil ich Schluderei in Geldangelegenheiten nicht ausstehen kann.
Als ich damit fertig war, kochte ich mir als Zwischenmahlzeit Spinat mit getrockneten kleinen Fischen. Dazu trank ich ein Bier – Black Label Kirin. Dann nahm ich mir Haruo Satos Kurzgeschichten vor, die ich vor einigen Jahren schon einmal gelesen hatte. Es war ein gemütlicher Frühlingsabend ohne besondere Vorkommnisse. Das Blau des Abendhimmels verdunkelte sich zunehmend, als würde es mit Pinselstrichen wieder und wieder übermalt, bis es sich in Nacht verwandelte.
Als ich vom Lesen genug hatte, legte ich Schuberts Opus 100, gespielt vom Stern-Rose-Istomin Trio, auf – ein Stück, das ich traditionell zu Beginn des Frühlings höre. Es passt zu der melancholischen Stimmung dieser lauen Nächte, in denen sogar mein Innerstes in dieses bläuliche, sanfte Dämmerlicht getaucht wird. Ich schloss die Augen und sah im tiefen Dunkel sechs weiße Skelette auftauchen. Das Leben versank in einem finsteren Nichts, vor mir lagen nur die blanken Knochen, hart wie Erinnerungen.
32
Gotanda kam um zwanzig vor neun mit seinem Maserati vorgefahren, der ziemlich fehl am Platz wirkte, genau wie damals die Mercedes-Limousine. Dafür konnte natürlich niemand etwas. Manche Dinge passen einfach nicht zueinander. Die Menschen haben eben einen unterschiedlichen Lebensstil.
Gotanda trug ein völlig normales blaues Hemd mit offenem Kragen unter einem völlig normalen grauen Pullover mit V-Ausschnitt und eine völlig normale Baumwollhose. Und trotzdem wirkte er extravagant – so auffällig wie Elton John, wenn er in orangefarbenem Hemd und lila Jackett Luftsprünge vollführt.
Gotanda klopfte an meine Tür und lächelte breit, als ich ihm öffnete.
»Möchtest du einen Moment reinkommen?«, fragte ich, da er neugierig ins Zimmer spähte.
»Hübsch hier«, sagte er mit einem scheuen Lächeln und so charmant, dass man ihn am liebsten für eine Woche zum Bleiben eingeladen hätte. Die räumliche Enge schien ihn tief zu beeindrucken. »Weckt alte Erinnerungen«, sagte er. »Ich habe auch mal in so einer Bude gehaust, als ich noch
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