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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Kompromiss mit der Wirklichkeit schließen. Erneut stellte ich fest, wie ähnlich die Neigungen und das Temperament von Mutter und Tochter waren. »Ach, Sie haben keine Zeit mehr. Tut mir leid, das habe ich gar nicht gemerkt«, sagte sie und neigte den Kopf langsam erst nach rechts und dann nach links. »Ich war ganz in Gedanken versunken.« Wir standen von der Bank auf und gingen zurück zum Haus.
    Alle drei begleiteten sie mich zum Abschied hinaus. Ich sagte zu Yuki, sie solle nicht so viel Junkfood essen, worauf sie nur eine Schnute zog. Nun, Dick North würde schon darauf achten.
    Als ich losfuhr, sah ich die drei im Rückspiegel. Sie gaben ein kurioses Bild ab. Dick winkte mit seinem einen erhobenen Arm; Ame stand geistesabwesend daneben, die Arme vor der Brust verschränkt; Yuki hatte sich zur Seite gedreht und kickte mit der Fußspitze Kieselsteine weg. Eine zusammengewürfelte Familie, ausgesetzt am Rande eines unvollkommenen Universums. Kaum zu glauben, dass ich bis eben auch noch dazugehört hatte. Doch nach der ersten Linkskurve waren sie aus dem Rückspiegel verschwunden. Ich war nach langer Zeit wieder allein.
    Es war angenehm, wieder einmal für mich zu sein. Das hieß nicht, dass ich nicht gerne mit Yuki zusammen gewesen war, aber es war eben doch etwas anderes. Man brauchte sich nicht vorher abzusprechen, wenn man etwas vorhatte, und sich nicht zu entschuldigen, wenn etwas schief gelaufen war. Passierte etwas Komisches, konnte man ungehemmt einen Witz darüber reißen und vor sich hinglucksen. Niemand warf einem vor, der Witz sei albern. Bei Langeweile konnte ich ungehindert Aschenbecher anstarren, ohne dass mich jemand fragte, warum ich das täte. Ob es nun gut war oder schlecht, ich war an mein Singledasein nun einmal gewöhnt.
    Als ich allein im Auto saß, veränderten sich sogar ein wenig, aber spürbar die Farbe des Lichts und der Geruch der Luft, die ich befreit einsog. Dabei hatte ich das Gefühl, mein Körpervolumen dehne sich aus. In ausgelassener Stimmung fuhr ich zum Flughafen und hörte auf einem FM-Sender Jazz: Coleman Hawkins und Lee Morgan. Die dichte Wolkendecke war aufgerissen, nur am Horizont hingen noch vereinzelte Wolkenfetzen. Der Passat wirbelte die Palmenblätter auf und trieb die Wolkenfetzen Richtung Westen. Eine Boeing 747 sah aus wie ein silberner Keil, der in einem steilen Winkel in den Himmel stieß.
    Auf mich allein gestellt, hatte ich gar nichts mehr zum Nachdenken – als hätte sich die Gravitation in meinem Kopf schlagartig verändert. Meine Gedanken schienen damit nicht so schnell zurechtzukommen. Aber es war herrlich, einmal nicht zu grübeln. Ist doch in Ordnung. Denk einfach mal an nichts. Ich bin auf Hawaii. Verdammte Scheiße. Wozu soll ich mir über irgendeinen gottverdammten Mist den Kopf zerbrechen? Mit völlig leerem Kopf konzentrierte ich mich aufs Autofahren und pfiff – eher ein Mittelding zwischen Pfeifen und Zischen – Stücke wie Stuffy oder Sidewinder mit. Ich raste mit 160 Sachen die steile Piste hinunter und ließ mir den Wind um die Ohren sausen. Als die Straße flacher wurde, bereitete sich vor mir das frische Blau des Pazifiks aus.
    So, damit sind die Ferien zu Ende. Alles in allem war es nicht übel.
    Nachdem ich am Flughafen den Leihwagen zurückgebracht und am JAL-Schalter eingecheckt hatte, unternahm ich einen letzten Versuch mit der rätselhaften Telefonnummer. Wie erwartet, hob niemand ab. Nur das endlose Klingeln. Ich legte auf und starrte noch einen Moment auf den Apparat in der Telefonzelle. Dann besann ich mich und ging in die VIP-Lounge, wo ich einen Gin-Tonic bestellte.
    Tokyo, dachte ich. Es war in meiner Erinnerung verblasst.

31
    Zu Hause in Shibuya angekommen, sah ich die Post durch und hörte den Anrufbeantworter ab. Nichts Aufregendes, nur der übliche berufliche Kleinkram. Eine Anfrage wegen eines Manuskripts für die nächste Ausgabe, Klagen über mein Verschwinden, ein neuer Auftrag und so weiter. Aus Bequemlichkeit ignorierte ich alles. Erklärende Entschuldigungen wären viel zu umständlich gewesen. Einfacher und schneller ging es, wenn ich die Aufträge gleich erledigte. Mir war jedoch auch klar, dass ich zu nichts anderem mehr kommen würde, sobald ich mich auf das Schneeschaufeln einließ. Daher ließ ich sämtliche Arbeiten erst einmal liegen, natürlich auch aus mangelnder Loyalität. Zum Glück hatte ich im Moment noch keine Geldsorgen, und alles Weitere würde sich schon zeigen. Bisher hatte ich alle Aufträge

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