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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Mainichi und Yomiuri sehr aufmerksam durch, entdeckte jedoch keine einzige Zeile zu dem Fall. Nur Wahlergebnisse, ein Kommentar von Revchenko, ein großer Bericht über Kriminalität in Schulen und eine Notiz, dass ein Beach-Boys-Konzert im Weißen Haus abgeblasen worden war, weil ihre Musik für zu unschicklich befunden wurde. So ’n Quatsch. Wenn man den Beach Boys aus Gründen der Unschicklichkeit den Auftritt im Weißen Haus verwehrt, müsste Mick Jagger eigentlich dreimal auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden. Jedenfalls keine Nachricht über den Mordfall in Akasaka.
    Dann schaute ich die zurückliegenden Nummern diverser Wochenzeitschriften durch und wurde fündig. Der Artikel trug die geschmacklose Überschrift: Splitternackte Schöne erdrosselt im Hotel Q in Akasaka aufgefunden. Da echte Fotos von Toten in Zeitungen nicht abgebildet werden dürfen, war das Gesicht der Toten als Phantombild dargestellt, vermutlich von einem Polizeizeichner angefertigt. Zugegeben, das Bild ähnelte May, aber nur weil ich bereits wusste, dass sie damit gemeint war. Jemand, der die Abbildung zu sehen bekam, ohne den Kontext zu kennen, hätte sie vermutlich nicht so ohne weiteres erkannt. Die Details waren zwar alle gut getroffen, aber eine entscheidende Sache fehlte. Das Bild vermittelte nicht dieses gewisse Etwas, das sie geprägt hatte. Es zeigte nur die tote May. Die lebendige May hingegen war warm gewesen. Voller Hoffnungen und Illusionen, intelligent – eine liebevolle, leidenschaftliche und versierte Schneeschauflerin. Deshalb hatten wir so gut miteinander kommuniziert, unsere Illusionen geteilt. Sie war ein Mensch, der kindlich naiv beim Frühstück »Kuckuck« rufen konnte. Die Zeichnung dagegen wirkte erbärmlich und schmuddelig. Ich schüttelte den Kopf, schloss die Augen und seufzte tief. Beim Anblick des Bildes wurde mir erneut bewusst, dass May tatsächlich tot war, dass sie nicht mehr existierte. Es ließ mich den Verlust ihrer Person viel stärker empfinden, als es die Leichenfotos vermocht hatten. Sie war tot – definitiv, für alle Zeit. Sie würde nie mehr zurückkehren. Ihr Leben war aufgesogen in ein schwarzes Nichts.
    Der Artikel war genauso schäbig wie die Zeichnung. Darin stand, dass eine junge Frau, der Schätzung nach Mitte zwanzig, im Zimmer eines Luxushotels in Akasaka mit einem Strumpf erwürgt aufgefunden worden war, splitternackt, ohne einen einzigen Nachweis ihrer Identität. Der an der Rezeption angegebene Name sei falsch gewesen und so weiter und so fort – all das, was ich bereits von der Polizei erfahren hatte. Doch am Ende des Artikels gab es einen auch für mich neuen Hinweis: Die Polizei ermittelte im Zusammenhang mit einem Callgirl-Ring, einem exklusiven Club, der sexuelle Zusammenkünfte in Luxushotels arrangierte. Ich brachte den Stoß Zeitschriften zum Ständer zurück und setzte mich, um nachzudenken.
    Wieso konzentrierte sich die Polizei bei ihren Ermittlungen auf die Prostituiertenszene? Waren sichere Beweise aufgetaucht? Ich konnte natürlich unmöglich Fischer oder Schöngeist anrufen und mich nach dem Fortgang erkundigen.
    Ich verließ die Bibliothek und nahm ein einfaches Mittagessen ein. Dann schlenderte ich durch die Gegend, in der Hoffnung, auf eine großartige Idee zu kommen. Vergeblich. Die Frühlingsluft war drückend schwül und kribbelte auf meiner Haut. Mir fiel nichts Vernünftiges ein. Ich ging zum Meiji-Schrein, legte mich dort ins Gras und stierte in den Himmel.
    Prostitution – ein internationaler Paketdienst. In Tokyo bestellen, in Honolulu genießen. Systematisch, effizient, kultiviert. Kein Schmuddelsex. Professionell. Egal, wie verwerflich eine Sache ist, bei Überschreitung einer gewissen Grenze werden die moralischen Kriterien außer Kraft gesetzt. Denn nun entsteht eine ganz eigenständige Illusion. Ist die Illusion erst einmal erzeugt, dann verhält sie sich wie jede Ware. Der hoch entwickelte Kapitalismus produziert Waren für jede beliebige Nische. Illusion – das war hier das Schlüsselwort. Ob Prostitution oder Menschenhandel, Diskriminierung, Angriffe auf Personen oder sexuelle Perversion – eine hübsche Verpackung, ein hübsches Etikett genügt, damit daraus eine propere Ware wird. Nicht mehr lange, und man wird im Seibu-Kaufhaus Callgirls per Katalog bestellen können. Auf uns können Sie sich verlassen.
    Ich starrte in den Himmel und dachte an Sex.
    Am liebsten würde ich mit Yumiyoshi, dem Mädchen aus Sapporo, schlafen. Das war gar

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