Tanz mit dem Schafsmann
Nähe des großen Portals gab es ein Café und daneben einen Minimarkt voller Junkfood. Jemand wie Dick North hätte einen solchen Laden boykottiert. Ich übrigens auch. Die Straße schlängelte sich so steil nach oben, dass selbst meinem geliebten Subaru etwas die Puste ausging.
Ames Villa lag auf halber Höhe. Für einen Zweipersonenhaushalt kam mir das Haus ein wenig groß vor. Ich parkte, holte Yukis Gepäck aus dem Wagen und ging die Treppe neben der Stützmauer hinauf. Durch die Zedern auf dem Hang schimmerte das Meer von Odawara. Die Luft war diesig und das Meer von einer matten Frühlingsfärbung.
Ame schritt mit einer Zigarette zwischen den Fingern durch das sonnendurchflutete, geräumige Wohnzimmer. Der große Kristallaschenbecher quoll über von abgeknickten, ausgedrückten Kippen, und die Tischplatte war mit Asche übersät, als hätte jemand nach Herzenslust hineingepustet. Als sie uns sah, legte sie die Zigarette ab und begrüßte ihre Tochter, indem sie ihr zärtlich das Haar zerzauste. Ame trug ein übergroßes orangefarbenes Sweatshirt mit Chemikalienflecken vom Entwickeln und ausgewaschene Bluejeans. Ihre Haare waren ungekämmt, ihre Augen gerötet. Wahrscheinlich hatte sie die ganze Nacht nur geraucht und kein Auge zugemacht.
»Es war so furchtbar«, stöhnte sie. »Warum passieren nur solche schrecklichen Dinge?«
Ich sprach ihr mein Beileid aus. Sie schilderte uns die Einzelheiten des Unfalls. Es sei allzu plötzlich gekommen, sie sei völlig durcheinander, mit den Nerven fertig, sagte sie. »Obendrein ist auch noch meine Haushälterin krank geworden. Gerade heute. Wieso muss sie ausgerechnet jetzt Fieber bekommen? Es ist zum Verrücktwerden. Erst kam jemand von der Polizei, und dann hat Dicks Frau angerufen. Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«
»Was hat denn seine Frau gesagt?«, fragte ich.
»Wenn ich das wüsste«, seufzte Ame. »Sie hat die ganze Zeit bloß geheult und ab und zu irgendwas gemurmelt, ich konnte kaum ein Wort verstehen. Ich hätte auch nicht gewusst, was ich sagen sollte … Verstehen Sie?«
Ich nickte.
»Ich habe ihr dann versprochen, so bald wie möglich Dicks Sachen zu schicken, aber da weinte sie nur noch heftiger. Es war hoffnungslos.«
Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und sank aufs Sofa.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte ich sie.
Sie könnte einen heißen Kaffee gebrauchen, sagte sie. Ich leerte erst einmal den Aschenbecher, räumte die mit Kakao verkrusteten Becher ab und wischte den Tisch sauber. Dann schaffte ich ein wenig Ordnung in der Küche, setzte Wasser auf und machte einen starken Kaffee. Die Küche war sicher immer tipptopp aufgeräumt gewesen, damit Dick hier gut schalten und walten konnte, doch nur einen Tag nach seinem Ableben herrschte Chaos. Im Spülbecken stapelte sich schmutziges Geschirr, auf der Zuckerdose fehlte der Deckel. Kakaopulver klebte auf der Herdplatte aus rostfreiem Stahl, und benutzte Messer mit Käsespuren lagen herum.
Der Ärmste! Er hatte sich so bemüht, hier Ordnung zu halten, und nun war sein Werk binnen eines Tages zunichte gemacht worden. Als hätte der Blitz eingeschlagen. Ein Mensch hinterlässt seine Spuren dort, wo er sich am wohlsten fühlt. Bei Dick war das die Küche gewesen. Doch selbst dieser schwache Schatten seiner Anwesenheit war im Nu dahin.
Der Ärmste.
Ein besserer Ausdruck fiel mir nicht ein.
Als ich den Kaffee hereintrug, saßen Mutter und Tochter eng beieinander auf dem Sofa. Ame hatte ihren Kopf auf Yukis Schulter gelegt und starrte mit glasigen Augen vor sich hin, als hätte sie sich mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. Yukis Miene war ausdruckslos. Sie schien das Anlehnungsbedürfnis ihrer Mutter weder unangenehm noch beunruhigend zu finden. Ein seltsames Gespann. Gemeinsam hatten sie eine ganz sonderbare Ausstrahlung – anders, als wenn man ihnen einzeln begegnete. Unnahbar. Rätselhaft.
Ame nahm den Kaffeebecher mit beiden Händen entgegen und trank langsam daraus, als handle es sich um ein sehr edles Getränk. »Köstlich«, sagte sie. Als sie ausgetrunken hatte, wirkte sie schon etwas entspannter. Auch ihre Augen hatten wieder ein wenig Glanz.
»Möchtest du auch etwas trinken?«, fragte ich Yuki.
Sie schüttelte apathisch den Kopf.
»Sind denn so weit alle Angelegenheiten erledigt? Ich meine, die Formalitäten, die juristischen Fragen und dergleichen?«
»Ja. Das ist relativ reibungslos verlaufen. Es war eben ein ganz gewöhnlicher Verkehrsunfall. Ein Polizist hat
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