Tanz mit dem Schafsmann
sie. Ich beobachtete wieder die Passanten.
»Außer dir habe ich keinen Menschen, mit dem ich reden kann«, sagte Yuki dann. »Ehrlich. Ich spreche sonst kaum mit jemandem.«
»Und wie steht’s mit Dick North?«
Yuki streckte die Zunge raus und machte eine abfällige Geste. »Das ist ein blöder Idiot.«
»Na ja, in gewisser Weise vielleicht schon. Aber ganz so schlimm ist er ja nun auch nicht. Ich finde, das solltest du sehen. Trotz seines Handicaps stellt er sich weit besser an als so manch anderer. Und dafür ist er ziemlich bescheiden. Solche Menschen findet man nicht oft. Er kann deiner Mutter sicher nicht das Wasser reichen und ist auch nicht so talentiert wie sie, aber er meint es ernst mit ihr. Ich glaube, er liebt sie wirklich. Auf ihn ist Verlass. Außerdem ist er ein guter Koch. Und immer freundlich.«
»Mag sein, aber er ist und bleibt ein Idiot.«
Ich sagte nichts mehr dazu. Es war ihr persönlicher Standpunkt.
Ich wechselte das Thema. Wir sprachen über die herrliche Zeit auf Hawaii: Sonne, Wellen, Wind und Piña Colada. Yuki sagte, sie sei ein bisschen hungrig. Also gingen wir in ein Café in der Nähe, wo wir Eierkuchen und einen Fruchtbecher mit Sahne aßen. Danach nahmen wir die U-Bahn und gingen ins Kino.
In der Woche darauf starb Dick North.
34
Dick North war am Montagabend mit einer Einkaufstüte im Arm aus einem Supermarkt in Hakone gekommen und von einem vorbeifahrenden Laster überfahren worden. Er war sofort tot. Der Fahrer gab zu, er könne selbst nicht so recht begreifen, welcher Teufel ihn geritten hätte, mit so hoher Geschwindigkeit die schlecht einsehbare Straße entlangzubrettern. Der Verunglückte sei aber auch nicht ganz schuldlos gewesen. Er habe zwar nach links geschaut, aber Sekundenbruchteile zu spät nach rechts. Ein häufiger Fehler von Menschen, die lange Zeit im Ausland gelebt haben. Sie sind nicht an den Linksverkehr gewöhnt und blicken in die falsche Richtung. Die meisten kommen mit einem kleinen Schrecken davon, aber manchmal geht es eben böse aus. Wie in Dick Norths Fall. Er wurde von dem Laster in die Luft geschleudert, von einem entgegenkommenden Lieferwagen erfasst und war sofort tot.
Als ich die Nachricht erhielt, sah ich zuerst Dick bei unserem gemeinsamen Einkauf im Supermarkt von Makaha vor mir. Wie routiniert er die Waren aussuchte, das Obst begutachtete und unauffällig die Schachtel Tampax in seinen Einkaufswagen warf. Der arme Dick. Das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Erst hatte er in Vietnam den linken Arm verloren, weil ein Soldat neben ihm auf eine Mine getreten war. Dann musste er von früh bis spät Ames Zigarettenkippen ausdrücken. Und schließlich endete er mit einer Einkaufstüte im Arm unter einem Laster.
Die Beerdigung sollte im Beisein seiner rechtmäßigen Familie, seiner Frau und seines Kindes stattfinden. Weder Ame noch Yuki oder ich würden dort erscheinen.
Ich holte mir den Subaru von Gotanda zurück und fuhr mit Yuki am Dienstagnachmittag nach Hakone. Sie wollte ihre Mutter jetzt nicht allein lassen.
»Sie kommt allein nicht zurecht. Es gibt zwar noch unsere Hausangestellte, aber die ist zu alt und kriegt nicht mehr viel mit. Außerdem geht sie abends nach Hause. Ich muss ihr also Beistand leisten.«
»Ja, es ist sicher gut, wenn du eine Zeit lang bei ihr bleibst.«
Yuki nickte und blätterte im Straßenatlas. »Erinnerst du dich, wie ich neulich über ihn hergezogen bin?«
»Du meinst, über Dick North?«
»Ja.«
»Du hast gesagt, er sei ein blöder Idiot.«
Yuki steckte den Atlas in die Ablagetasche zurück und starrte, den Ellbogen auf die Fensterkante gestützt, auf die Landschaft hinaus. »Aber jetzt finde ich, so schlecht war er gar nicht. Zu mir war er auch immer nett, außerordentlich nett sogar. Er hat mir das Surfen beigebracht. Trotz seines fehlenden Arms hat er intensiver gelebt als die meisten Menschen mit zwei Armen. Um Mama hat er sich auch liebevoll gekümmert.«
»Ich weiß. Er war ein guter Kerl.«
»Aber ich wollte ihn schlecht machen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Du konntest eben nicht anders. Deswegen brauchst du dir aber keine Vorwürfe zu machen.«
Yuki blickte stur geradeaus. Durch das offene Wagenfenster blies der Frühlingswind in ihre glatten Ponyhaare. Sie bewegten sich wie Grashalme.
»Er kann einem leid tun, aber er war nun mal so ein Typ«, sagte ich. »Ein guter Kerl, der Respekt verdient, aber manchmal leider als Mülleimer missbraucht wird, wenn auch als feiner
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