Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
Vom Netzwerk:
Mülleimer. Alle möglichen Leute laden ihren Unrat bei ihm ab. Ohne Skrupel. Wie kommt das? Vielleicht ist es ja eine Veranlagung. Dagegen wird deine Mutter als Respektsperson empfunden, ob sie nun etwas sagt oder nicht. Mittelmäßigkeit ist wie ein Fleck auf einem weißen Jackett. So ein Stigma wird man nie los.«
    »Wie ungerecht!«
    »Merke dir, das Leben ist grundsätzlich ungerecht«, erwiderte ich.
    »Ich habe mich so gemein benommen.«
    »Dick North gegenüber?«
    »Ja.«
    Seufzend fuhr ich an den Straßenrand, stellte den Motor ab und wandte mich ihr zu.
    »Das ist töricht, so zu denken«, sagte ich. »Statt hinterher zu bereuen, hättest du ihn besser von Anfang an anständig behandeln sollen. Oder dich wenigstens bemühen sollen, fair zu ihm zu sein. Aber das hast du eben nicht getan. Da hast du jetzt auch nicht das Recht, es zu bedauern.«
    Yuki sah mich mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Vielleicht gehe ich ein bisschen zu hart mit dir um. Was andere Leute tun, ist mir egal, aber ich möchte nicht, dass du so törichte Vorstellungen entwickelst. Verstehst du? Bestimmte Dinge sagt man besser nicht leichtfertig dahin, als wäre damit etwas aus der Welt geschafft. Aber im Grunde hast du nichts dazugelernt. Du bedauerst deine Worte über Dick North. Das glaube ich dir. Aber ich an Dicks Stelle würde nicht wollen, dass du so einfach bereust. Ich würde nicht gern Sprüche hören wollen wie ›Ich war gemein zu ihm‹. Das ist keine Frage der Manieren, sondern der Fairness. Das musst du noch lernen.«
    Yuki sagte nichts. Den Ellbogen auf dem Fensterrahmen, presste sie den Zeigefinger an die Schläfe und hielt die Augen geschlossen, es sah fast aus, als wäre sie eingenickt, aber ihre Wimpern und Lippen bebten leicht. Vielleicht weinte sie innerlich. Lautlos, ohne Tränen. Verlangte ich zu viel von einer Dreizehnjährigen? Und wie kam ich überhaupt dazu, selbstgerechte Reden zu schwingen? Aber nun war es geschehen. Egal, wie alt der andere ist, egal, was für ein Mensch ich bin, gewisse Dinge kann ich nicht so einfach durchgehen lassen. Dummheit ist Dummheit, und ich will nicht alles hinnehmen.
    Yuki saß reglos da. Ich streckte die Hand aus und berührte ihren Arm.
    »Ist schon in Ordnung. Du hast keine Schuld«, sagte ich. »Ich bin vielleicht ein bisschen zu engstirnig. Fairerweise muss ich sagen, dass du dich besser verhalten hast, als man erwarten konnte.«
    Eine einzige Träne kullerte Yuki über die Wange und tropfte auf ihren Schoß. Das war alles. Keine weiteren Tränen, kein Schluchzen. Eine noble Haltung.
    »Was kann ich denn nun tun?«, fragte sie ein wenig später.
    »Gar nichts«, sagte ich. »Nimm dir zu Herzen, was sich mit Worten nicht ausdrücken lässt. Das ist man den Toten schuldig. Im Laufe der Zeit wirst du das schon verstehen. Was bleiben soll, bleibt, alles Übrige geht verloren. Die Zeit löst die meisten Dinge, und was sie nicht lösen kann, musst du selbst lösen. Ist das zu viel verlangt?«
    »Ein bisschen«, sagte Yuki und lächelte ein wenig.
    »Es ist ja auch schwierig«, sagte ich und versuchte, ebenfalls zu lächeln. »Die meisten Leute verstehen ohnehin nicht, wovon ich spreche. Der größte Teil der Durchschnittsbürger hat eine ganz andere Auffassung als ich, aber ich glaube, ich habe Recht. Ich will es einfacher ausdrücken – Menschen sterben oft unerwartet. Das Leben ist zerbrechlicher, als man meint. Darum sollte man mit anderen so umgehen, dass man später nichts bereuen muss – fair und, wenn möglich, aufrichtig. Ich kann Leute nicht ausstehen, die sich darum nicht bemühen und dann, wenn es zu spät ist, Tränen der Reue vergießen. Sie machen es sich zu einfach. Das ist meine Meinung.«
    Yuki lehnte sich an die Autotür und sah mich an.
    »Aber das ist furchtbar schwierig«, sagte sie.
    »Natürlich ist es schwierig«, entgegnete ich. »Aber ein Versuch lohnt sich. Schau dir die Tunte Boy George an – selbst aus einem fetten Jungen, der nicht singen kann, ist ein Star geworden. Bemühung ist alles.«
    Sie musste lachen und nickte. »Ich glaube, ich habe dich verstanden.«
    »Schnell von Begriff«, sagte ich und ließ den Motor an.
    »Aber sag mal, warum hackst du eigentlich so gern auf Boy George rum?«, fragte Yuki.
    »Tja, warum wohl?«
    »In Wirklichkeit magst du ihn wahrscheinlich.«
    »Darüber muss ich erst mal nachdenken«, sagte ich.
    Ames Haus lag in einer Ferienvillen-Anlage, die von einer großen Immobiliengesellschaft erbaut worden war. In der

Weitere Kostenlose Bücher