Tanz mit dem Schafsmann
gehörst auch dazu – du bist eine zentrale Figur. Nur kann ich noch nicht einschätzen, worauf Kiki hinauswill. Zwei Personen sind inzwischen gestorben. Die eine war May. Die andere ein einarmiger Dichter. Es findet Bewegung statt. Aber sie führt nirgendwohin.«
Das Eis im Kübel war restlos geschmolzen. Gotanda ging in die Küche, um Nachschub zu holen, und bereitete zwei neue Whiskey on the rocks, wie immer mit eleganten Handgriffen. Es klirrte angenehm, als er das Eis in die Gläser fallen ließ. Eine filmreife Szene.
»Ich sitze auch in der Klemme«, sagte ich. »Wie du.«
»Nein, das kann man nicht vergleichen«, entgegnete Gotanda. »Ich liebe eine einzige Frau. Es ist eine ausweglose Leidenschaft. Bei dir ist das anders. Du wirst wenigstens irgendwohin geleitet. Jetzt erscheint dir vielleicht alles sehr verworren, aber verglichen mit dem Gefühlslabyrinth, in dem ich stecke, stehst du weitaus besser da und kannst hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Du hast wenigstens die Möglichkeit, einen Ausweg zu finden. Die habe ich nicht. Überhaupt nicht. Deine Situation ist grundverschieden.«
Das könne sein, gab ich zu. »Jedenfalls kann ich im Moment nichts anderes tun, als Kikis Spuren zu folgen. Sonst nichts. Sie sendet mir offenbar Zeichen oder Botschaften. Und ich muss die Ohren spitzen.«
»Sag mal, hast du eigentlich schon mal daran gedacht, dass Kiki ebenfalls ermordet worden sein könnte?«, fragte Gotanda.
»Du meinst, wie May?«
»Ja. Sie ist so plötzlich verschwunden. Als ich die Sache mit May erfuhr, musste ich sofort an Kiki denken. Womöglich ist ihr das Gleiche passiert. Ich habe mich bisher mit dieser Vermutung zurückgehalten, aber es wäre durchaus denkbar.«
Ich schwieg. Ich hatte sie doch mit eigenen Augen gesehen, in Honolulu Downtown. Im schummrigen Licht der Abenddämmerung. Ich war ihr wirklich begegnet. Und Yuki hatte es auch gemerkt.
»Es ist nur eine Spekulation. Vermutlich bedeutungslos«, räumte Gotanda ein.
»Natürlich besteht diese Möglichkeit. Aber sie sendet mir immer noch Botschaften, die ich klar und deutlich vernehme. Sie ist in jeder Hinsicht etwas Besonderes.«
Nachdenklich saß Gotanda mit verschränkten Armen da. Er sah aus, als sei er vor Erschöpfung eingenickt. Aber er war natürlich wach. Die Dunkelheit stahl sich ins Zimmer und umgab seinen straffen Körper mit fließenden Schatten.
Ich schwenkte erneut die Eiswürfel im Glas und nahm einen Schluck.
In diesem Augenblick bemerkte ich plötzlich die Anwesenheit einer dritten Person. Außer Gotanda und mir schien noch jemand im Raum zu sein. Ich spürte es deutlich: Körperwärme, Atemzüge und ein schwacher Geruch. Es schien jedoch kein Mensch zu sein. Irgendein Wesen hatte die Atmosphäre im Raum verändert. Ein Tier. Mir lief es eiskalt über den Rücken. Ich ließ den Blick durchs Zimmer huschen, aber ich sah nichts. Es war nur ein Gespür. Ein sich hart anfühlender Hauch, als hätte sich etwas hereingeschlichen. Aber es war nichts zu sehen. Im Raum waren nur ich und Gotanda, der mit geschlossenen Augen vor sich hin sann. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und lauschte. Was für ein Wesen mochte das sein? Es gab keinen Laut von sich. Wahrscheinlich lauerte es irgendwo, zusammengekauert, mit angehaltenem Atem. Doch dann war der Hauch verschwunden. Das Wesen war fort.
Meine Schultern entspannten sich, und ich nahm einen weiteren Schluck.
Ein paar Minuten später schlug Gotanda die Augen auf und lächelte mich herzlich an. »Tut mir leid, das war ja mal wieder ein deprimierender Abend«, entschuldigte er sich.
»Wahrscheinlich weil wir beide im Grunde todernste Menschen sind«, erwiderte ich lachend.
Gotanda stimmte in mein Lachen ein, sagte aber nichts weiter.
Wir hörten noch etwa eine Stunde Musik, und als ich wieder etwas nüchterner war, stieg ich in meinen Subaru und fuhr nach Hause. Als ich zu Bett ging, dachte ich noch: Was für ein Tier mag das gewesen sein?
35
Ende Mai begegnete ich in Shibuya zufällig – dachte ich zumindest – einem der beiden Kommissare, die mich damals wegen May verhört hatten. Es war Schöngeist. Ich kam gerade aus Tokyu Hands, wo ich einen Lötkolben gekauft hatte, als er mir über den Weg lief. Trotz der sommerlichen Temperaturen trug er ein dickes Tweedjackett. Es schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Polizeibeamte sind vermutlich resistent gegen Hitze oder haben andere Empfindlichkeiten. Auch er trug eine Einkaufstüte von Tokyu Hands. Ich tat so,
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