Tanz mit dem Schafsmann
Darstellertypus gar nicht. Wo es komisch sein soll, wirkt es immer übertrieben. Ich möchte genau das Gegenteil tun, nämlich gar nicht spielen.« Gotanda nahm einen Schluck von seinem Drink und sah zur Decke. »Aber keiner bietet mir solche Rollen an. Die Typen sind völlig unkreativ. Die einzigen Rollen, die immer wieder in die Agentur gelangen, sind Ärzte, Lehrer und Anwälte. Mir steht das bis hier. Ich würde es zu gerne ablehnen, aber meine Situation lässt das nicht zu. Stress staut sich im Magen.«
Gotandas CM-Spot war so gut angekommen, dass man weitere Folgen gedreht hatte. Das Muster blieb immer das Gleiche: Mal sprang er, wie gewohnt im dunklen Anzug und mit noblem Gesicht, zeitlich haargenau abgestimmt zwischen Zügen, Bussen und Flugzeugen hin und her; mal kletterte er, Akten unter den Arm geklemmt, an einer Wolkenkratzerfassade hinauf oder vollführte einen Seiltanz zwischen Büroräumen. Alle Folgen waren gut gelungen. Und in allen verzog Gotanda nie eine Miene.
»Zuerst sollte ich ganz erschöpft aussehen. So wollte es der Produktionsleiter. Als würde ich vor Überarbeitung gleich zusammenbrechen. Aber ich war dagegen und erklärte ihnen, es sei viel komischer, wenn ich dabei cool bliebe. Sie haben natürlich überhaupt nicht auf mich gehört, aber ich habe nicht locker gelassen. Ich mache diese Werbefilme ohnehin nicht zum Spaß, sondern nur des Geldes wegen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dieser Spot könnte ganz interessant werden. Ich hab’ mich also quer gestellt. Daraufhin haben sie zwei Versionen gedreht, und meine Version gefiel allen sehr viel mehr. Der Spot wurde ein voller Erfolg, und der Produktionsleiter heimste die Lorbeeren ein. Er hat sogar einen Preis dafür bekommen. Soll mir recht sein. Ich bin nur ein Darsteller. Was geht es mich an, wie jemand bewertet wird. Mich wurmt nur, dass sie sich hinterher so aufspielen, als wäre es ganz allein ihre Idee gewesen. Ich wette, sie glauben es sogar selbst. So ist dieses Gesinde. Gerade die Phantasielosesten sind immer die ersten, die sich in den Vordergrund schieben. Mich halten sie lediglich für einen hübschen Einfaltspinsel, der sich wichtig macht.«
»Das soll jetzt keine Schmeichelei sein, aber ich finde, dass du etwas Besonderes an dir hast«, sagte ich. »Ehrlich gesagt, war ich, bevor ich dich näher kennen gelernt habe, anderer Meinung. Ich hatte mir mehrere Filme, in denen du mitspielst, angeschaut und hielt sie – verzeih mir bitte – für ziemlichen Schund. Du hast darin sogar regelrecht billig gewirkt.«
Gotanda schaltete das Videogerät ab, schenkte uns nach und legte eine Platte von Bill Evans auf. Dann setzte er sich wieder aufs Sofa und trank einen Schluck. Seine Gesten waren wie üblich von bemerkenswerter Eleganz.
»Ja, du hast völlig Recht«, sagte er. »Wenn ich in diesen blöden Filmen auftrete, merke ich, dass ich ebenfalls langsam verblöde. Ich fühle mich dann ganz erbärmlich. Aber wie gesagt – meine Situation lässt mir keine andere Wahl. Sie suchen sogar das Muster meiner Krawatten für mich aus. Diese Idioten halten sich für ungeheuer schlau. Irgendwelche Banausen meinen, sie hätten den guten Geschmack gepachtet. Ich darf nur nach ihrer Pfeife tanzen. Geh dahin, geh dorthin, mach dies, mach das. Fahr diesen Wagen, schlaf mit dieser Frau. Mein Leben ist genauso hohl wie diese blöden Filme. Und so geht es ewig weiter. Wann ist endlich Schluss damit? Ich werde im nächsten Monat fünfunddreißig.«
»Vielleicht solltest du alles hinschmeißen und noch mal bei null anfangen. Jemand wie du schafft das spielend. Verlass die Agentur und mach das, was dir wirklich zusagt. Dann kannst du deine Schulden nach und nach abzahlen.«
»Klar, daran habe ich natürlich auch schon oft gedacht. Wenn es nur nach mir ginge, hätte ich das längst getan. Noch einmal völlig neu anfangen – dann würde ich wahrscheinlich Theater spielen. Anspruchsvolle Stücke. Damit wäre ich zufrieden. Geld wäre Nebensache. Aber dann würde meine Exfrau mich garantiert fallen lassen. Sie ist nun mal so gestrickt. Sie kann nur in ihrer Welt atmen. Wenn sie mit mir bei null anfangen müsste, würde sie vermutlich ersticken. Das hat nichts damit zu tun, ob sie gut oder schlecht ist. So ist sie nun einmal. Sie ist in einem Starmilieu aufgewachsen, in dem ein bestimmter Luftdruck herrscht, und sie braucht Leute um sich herum, die unter den gleichen Luftdruckbedingungen leben. Ich liebe sie und möchte sie nicht
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