Tanz mit dem Schafsmann
verlieren. Es geht also nicht.«
Er steckte in einer Sackgasse.
»Ich sitze wirklich in der Klemme«, sagte Gotanda lächelnd. »Aber lass uns über was anderes reden. Sonst liege ich dir noch bis morgen früh in den Ohren, ohne dass was dabei rauskommt.«
Er brachte das Gespräch auf Kiki und erkundigte sich nach meiner Beziehung zu ihr. Obwohl Kiki uns gewissermaßen zusammengebracht hatte, habe er von mir kaum etwas über sie erfahren, meinte er. Ob es mir schwer falle, darüber zu reden? Wenn dem so wäre, würde er mich nicht weiter drängen.
Nein, das sei nicht das Problem, erwiderte ich.
Ich erzählte ihm, dass ich Kiki zufällig begegnet sei und dass wir eine Zeit lang zusammengelebt hätten. Sie habe sich so unauffällig in mein Leben geschlichen wie Gas, das lautlos in ein Vakuum dringt.
»Alles geschah wie von selbst«, sagte ich. »Es ist schwer zu beschreiben. Eins führte zum anderen, auf ganz natürliche Weise. Deshalb habe ich dem damals keine besondere Beachtung geschenkt. Aber im Nachhinein betrachtet, gab es schon einige seltsame Ungereimtheiten, die mir jetzt ganz unwirklich erscheinen. Es ist schwer in Worte zu fassen. Es klingt dann lächerlich. Deshalb habe ich bisher mit niemandem darüber gesprochen.«
Ich trank einen Schluck und schwenkte das Glas, um die schönen klaren Eiswürfel zum Klirren zu bringen.
»Kiki arbeitete damals als Ohrmodell, und als ich die Fotos von ihren Ohren zu Gesicht bekam, war ich sofort hin und weg. Es waren – wie soll ich sagen – einfach vollkommene Ohren. Die Fotos waren für eine Werbekampagne vorgesehen und ich sollte den Text dazu schreiben. Für welches Produkt, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls bekam ich diese Fotos in die Hände. Es waren enorm vergrößerte Aufnahmen von ihren Ohren, auf denen sogar der Flaum zu erkennen war. Ich habe sie mit Tesafilm an die Wand meines Büros geklebt und sie Tag für Tag vor Augen gehabt. Zuerst sollten die Fotos mich beim Schreiben des Textes inspirieren, doch allmählich wurden sie zu einem Teil meines Lebens. Eine richtige Obsession. Ich starrte sie auch noch an, als ich die Arbeit längst beendet hatte. Sie waren wirklich unglaublich. Phantastische Ohren! Du müsstest sie selbst sehen, man kann sie nicht beschreiben. Sie sind so perfekt, dass ihre Existenz an sich bedeutungsvoll ist.«
»Stimmt, du hast Kikis Ohren schon mal erwähnt.«
»Ja, ich war ganz versessen darauf, die Eigentümerin dieser Ohren kennen zu lernen. Ich hatte das Gefühl, mein Leben stünde sonst still. Warum, weiß ich selbst nicht, es war einfach so. Ich habe sie dann angerufen, und sie verabredete sich mit mir. Das erste Mal, als wir uns sahen, hat sie mir dann höchstpersönlich ihre Ohren gezeigt. Nicht ihre professionellen Ohren, nein, ihre privaten Ohren. Sie waren noch faszinierender als auf den Fotos. Einfach phantastisch!
Wenn sie ihre Ohren professionell zur Verfügung stellte, also als Modell arbeitete, blockierte sie nämlich ihre Ohren. Deshalb waren ihre privaten Ohren etwas völlig anderes. Verstehst du? Allein dadurch, dass sie einem ihre Ohren zeigte, veränderte sich der Raum. Und mit einem Schlag änderte sich der Zustand der Welt. Es klingt lächerlich, ich weiß, aber anders lässt es sich nicht beschreiben.«
Gotanda dachte einen Moment nach. »Was soll das heißen, sie blockiert ihre Ohren?«
»Sie kann sie von ihrem Bewusstsein abkoppeln, um es einfach auszudrücken.«
»Aha.«
»Als würde sie den Stecker rausziehen.«
»Aha.«
»Klingt komisch, aber so was gibt’s.«
»Na klar, ich glaube dir. Ich versuche nur, es zu verstehen.«
Ich lehnte mich zurück und betrachtete ein Bild an der Wand.
»Mit ihren Ohren hat es noch eine weitere besondere Bewandtnis. Wenn sie etwas vernimmt, kann sie Menschen an einen bestimmten Ort lotsen«, erklärte ich.
Gotanda überlegte einen Moment. »Das heißt, sie hat dich damals auch irgendwohin geführt? An einen bestimmten Ort?«
Ich nickte, sagte jedoch nichts weiter dazu. Es würde zu lange dauern, all das zu erzählen, und außerdem hatte ich keine Lust dazu. Gotanda fragte auch nicht weiter nach.
»Jetzt versucht sie mich wieder irgendwohin zu lotsen«, sagte ich. »Ich spüre es ganz deutlich. Dieses Gefühl hält schon eine ganze Weile an. Und Stück für Stück hole ich den Faden ein. Einen hauchdünnen Faden, der jeden Augenblick zu zerreißen droht, mich aber bis hierhin geführt hat. Inzwischen bin ich den verschiedensten Menschen begegnet. Du
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