Tanz mit dem Schafsmann
als hätte ich ihn nicht bemerkt, und wollte gerade an ihm vorbeigehen, als Schöngeist mich ansprach.
»Hallo, warum denn so unhöflich?«, sagte er. »Wir kennen uns doch. Weshalb tun Sie so, als hätten Sie mich nicht gesehen?«
»Ich hab’s eilig«, sagte ich kurz angebunden.
»Aha«, sagte er nur. Er glaubte mir natürlich kein Wort.
»Ich muss Vorbereitungen für meine Arbeit treffen und habe einiges zu erledigen«, erklärte ich.
»Kann ich mir vorstellen«, sagte er. »Aber einen kleinen Moment werden Sie doch wohl Zeit haben, zehn Minuten. Ich lade Sie zu einem Kaffee ein. Ich wollte sowieso mal mit Ihnen reden, außerdienstlich. Wirklich, es dauert nicht länger als zehn Minuten.«
Ich folgte ihm in ein überfülltes Café. Was mich dazu bewog, weiß ich nicht. Ich hätte einfach ablehnen und nach Hause gehen können. Stattdessen folgte ich seiner Aufforderung. In dem Café saßen überwiegend junge Paare und Gruppen von Studenten. Der Kaffee schmeckte entsetzlich, die Luft war grauenvoll. Schöngeist steckte sich eine Zigarette an.
»Ich sollte besser damit aufhören«, sagte er. »Aber solange ich in diesem Job bin, ist das hoffnungslos. Ohne Zigaretten halte ich es nicht aus. Es ist zu nervenaufreibend.«
Ich sagte nichts dazu.
»Der Job zehrt an einem, wissen Sie? Man wird von allen gehasst. Je länger man das macht, umso schlimmer wird es. Der Blick verfinstert sich, die Haut wird welk. Ich weiß auch nicht, wovon man einen solch schlechten Teint bekommt. Man wirkt viel älter, als man tatsächlich ist. Sogar die Art zu reden verändert sich. Es hat nur Nachteile.«
Er tat sich drei Löffel Zucker in den Kaffee, kippte Sahne dazu und schlürfte ihn genüsslich.
Ich warf einen Blick auf meine Uhr.
»Ach ja, Sie haben es eilig«, sagte Schöngeist. »Wir haben noch fünf Minuten, nicht wahr? Na fein. Ich werde Sie nicht lange aufhalten. Es geht um die Ermordete. May.«
»May?«, fragte ich zurück. So einfach ging ich ihm nicht auf den Leim.
Er verzog den Mund zu einem Lächeln. »Ach so, ja natürlich. Das Mädchen hieß so. May. Das haben wir herausbekommen. Selbstverständlich war das nicht ihr richtiger Name, sondern nur ein Pseudonym. Sie war eine Prostituierte, wie ich bereits vermutet hatte. Eine Professionelle sozusagen, auch wenn sie auf den ersten Blick nicht so wirkte. Heutzutage lässt sich das schwer erkennen. Früher war das einfacher, man sah sofort, wer eine Nutte war. An der Kleidung, an der Schminke, am Gesichtsausdruck. Aber heute ? Da findet man Mädchen in dem Gewerbe, bei denen man überhaupt nicht auf die Idee käme. Entweder machen sie es wegen des Geldes oder aus reiner Neugier. Schlimm. Und gefährlich ist es obendrein. Sie lassen sich auf unbekannte Männer ein, hinter geschlossenen Türen. Es treiben sich so viele üble Kerle rum. Perverse, Psychopathen. Das ist äußerst riskant. Finden Sie nicht auch?«
Ich nickte gezwungenermaßen.
»Aber die jungen Mädchen sind so naiv. Sie glauben, sie könnten ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Na ja, da kann man nichts machen. So sind die jungen Leute eben. Die meinen, alles klappt prima. Und wenn sie dann eines Besseren belehrt werden, ist es oft zu spät. Mit einem Strumpf erdrosselt. Armes Ding.«
»Haben Sie den Mörder inzwischen gefasst?« erkundigte ich mich.
Schöngeist schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht. »Bedauerlicherweise noch nicht. Uns sind einige aufschlussreiche Fakten bekannt, von denen die Presse allerdings noch keinen Wind bekommen hat. Wir stecken noch in den Ermittlungen. Zum Beispiel kennen wir ihren professionellen Namen und wissen, dass sie eine Prostituierte war. Ihr wirklicher Name … ach, der tut hier nichts zur Sache. Sie stammte aus Kumamoto. Ihr Vater ist Beamter. Es ist zwar keine große Stadt, aber er hat es immerhin bis zum Vizebürgermeister gebracht. Sie kam also aus ordentlichen Verhältnissen. Auch finanziell ist die Familie gut situiert. Das Mädchen bekam genug Geld von zu Hause. Die Mutter fährt ein, zwei Mal im Monat nach Tokyo zum Shopping – Kleidung und so weiter. May hatte ihrer Familie erzählt, sie arbeite in der Modebranche. Es gibt noch eine ältere Schwester, die mit einem Arzt verheiratet ist, sowie einen jüngeren Bruder. Der studiert Jura an der Universität Kyûshû. Eine tadellose Familie. Wie kann ein Mädchen aus so gutem Hause Prostituierte werden? Ihr Tod war ein großer Schock für ihre Angehörigen. Die Sache mit der Prostitution haben
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