Tanz mit dem Schafsmann
kamen sie mir wie ein fein gearbeitetes Stück Kunsthandwerk vor.
Dann lächelte er. Es war ein ganz ruhiges Lächeln.
»Habe ich Kiki umgebracht?«, fragte er überdeutlich.
Ich kniff. »War nur ein Scherz. Ich habe es nur so dahergesagt, nur um den Satz mal auszusprechen.«
Gotanda senkte den Blick und betrachtete seine Hände. »Nein, das ist kein Scherz. Es ist sehr wichtig. Ich muss wirklich darüber nachdenken. Habe ich Kiki umgebracht? Ich muss mir das ernstlich durch den Kopf gehen lassen.«
Ich starrte ihn an. Sein Mund lächelte, doch sein Blick war ernst. Es war tatsächlich kein Scherz.
»Könnte es für dich einen Grund gegeben haben, Kiki umzubringen?«, fragte ich.
»Einen Grund, Kiki umzubringen? Das weiß ich selbst nicht. Habe ich sie umgebracht? Warum?«
»Ich begreife dich nicht«, sagte ich und versuchte zu lächeln. »Hast du sie nun getötet, oder hast du es nicht getan?«
»Ich sagte ja, ich muss darüber nachdenken: Habe ich Kiki umgebracht oder nicht?«
Er trank einen Schluck, stellte das Glas wieder ab und stützte das Kinn auf. »Ich bin mir nicht sicher. Das klingt verrückt, was? Aber so ist es tatsächlich. Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, vielleicht habe ich versucht, sie zu erwürgen. Mir ist so, als hätte ich es getan. Aber warum? Weshalb war ich überhaupt allein mit ihr? Das wollte ich doch immer vermeiden. Es hat keinen Sinn, ich erinnere mich nicht mehr. Auf jeden Fall war ich mit ihr allein im Zimmer. Ich habe ihre Leiche mit dem Wagen weggeschafft und begraben. Irgendwo in den Bergen. Aber ich weiß nicht, ob ich das tatsächlich getan habe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das wirklich geschehen sein soll. Es ist nur so ein Gefühl. Ich kann es nicht beweisen. Ich versuche schon die ganze Zeit, es herauszufinden, aber ich komme nicht weiter. Der entscheidende Moment ist weg, wie verschluckt. Ich versuche immer wieder, mich darauf zu besinnen, ob es ein konkretes Indiz geben könnte, zum Beispiel eine Schaufel. Ich hätte doch eine Schaufel benutzen müssen. Wenn ich eine Schaufel fände, wüsste ich, dass ich es getan habe. Ich kann mich jedoch nur an Bruchstücke erinnern. Dass ich irgendwo in einem Laden für Gartenbedarf eine Schaufel gekauft habe. Mit der habe ich dann ein Loch gebuddelt und die Leiche darin verscharrt. Anschließend habe ich das Ding irgendwo fortgeworfen. Das ist allerdings nur ein Gefühl . An Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern. Wo habe ich die Schaufel besorgt, wo habe ich sie fortgeworfen? Es gibt keine Beweise. Zunächst einmal – wo habe ich Kiki vergraben? Ich weiß nur, dass es in den Bergen war. Ich habe da nur Erinnerungsfetzen, wie im Traum. Es ist so verworren, alles läuft kreuz und quer. Der ganze Ablauf ist mir nicht klar. Ich habe Erinnerungen an irgendetwas, aber ob sie zutreffen? Oder ob ich mir im Nachhinein etwas Passendes zurechtgesponnen habe? Mit mir stimmt etwas nicht. Seit der Scheidung ist es immer schlimmer geworden. Ich bin ausgelaugt. Und verzweifelt. Zutiefst verzweifelt.«
Ich sagte nichts.
Nach einer Weile fuhr Gotanda fort: »Aber wie weit reicht die Realität? Wo fängt der Wahnsinn an? Oder die Schauspielerei? Ich habe versucht, es herauszufinden. Ich dachte, wenn ich mit dir zusammen bin, würde ich es eher verstehen. Das Gefühl habe ich schon, seit du dich das erste Mal nach Kiki erkundigt hast. Ich hatte gehofft, du würdest dieses Chaos beseitigen. So wie man ein Fenster öffnet, um frische Luft hereinzulassen.« Er verschränkte wieder die Hände und richtete den Blick darauf. »Angenommen, ich habe Kiki umgebracht – aus welchem Grund? Ich habe sie gemocht. Ich habe gern mit ihr geschlafen. Wenn ich niedergeschlagen war, waren sie und May meine einzige Rettung. Warum hätte ich sie umbringen sollen?«
»Hast du auch May getötet?«
Gotanda ließ den Blick auf seinen Händen ruhen. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, dass ich sie getötet habe. Gott sei Dank habe ich für jene Nacht ein Alibi. Ich war den ganzen Abend bis Mitternacht im Synchronisationsstudio, und anschließend bin ich mit dem Manager nach Mito gefahren. Ich kann mir also ganz sicher sein. Falls niemand bezeugen könnte, dass ich den ganzen Abend im Studio war, würde ich mich ernsthaft fragen, ob ich May nicht doch getötet habe. Und dennoch fühle ich mich für ihren Tod verantwortlich. Ich habe ein felsenfestes Alibi, aber mir ist, als hätte ich May mit meinen eigenen Händen
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