Tanz mit dem Schafsmann
niemand ans Telefon ging, bin ich einfach vorbeigekommen. Geht’s dir nicht gut?«
»Nicht besonders«, sagte ich zögernd.
Er kniff die Augen zusammen und sah mich forschend an. »Tja, dann komme ich wohl besser ein anderes Mal. War wohl keine gute Idee, unangemeldet hier aufzukreuzen. Dann sehen wir uns, wenn es dir wieder besser geht, einverstanden?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich holte tief Luft und suchte nach Worten, brachte jedoch keinen Ton heraus. Gotanda wartete geduldig. »Ich bin nicht krank«, erklärte ich ihm. »Ich habe kaum geschlafen, kaum etwas gegessen. Deswegen sehe ich wahrscheinlich so fertig aus. Aber es geht schon. Ich will sowieso mit dir reden. Lass uns irgendwo hingehen. Ich muss unbedingt wieder eine vernünftige Mahlzeit zu mir nehmen.«
Wir fuhren mit seinem Maserati in die Innenstadt. Der Wagen machte mich nervös. Gotanda fuhr ziellos an den bunten, im Regen schimmernden Leuchtreklamen vorbei. Er schaltete präzise und geschmeidig. Der Wagen schaukelte nicht, beschleunigte sanft, bremste weich. Wir fuhren wie in einem Tunnel durch den Lärm der Stadt, der um uns herum tobte.
»Wo sollen wir hin?«, fragte Gotanda. »Für mich ist die Hauptsache, dass wir uns in Ruhe unterhalten können, ohne irgendwelchen Geschäftsleuten mit Rolexuhren zu begegnen, und etwas Vernünftiges zu essen zu bekommen.« Er warf mir einen kurzen Blick zu, aber ich reagierte nicht, sondern starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Nachdem wir eine halbe Stunde erfolglos herumgeirrt waren, gab er auf.
»Mist, mir fällt einfach nichts Gescheites ein«, seufzte er verzweifelt. »Was ist mit dir? Kennst du irgendein Lokal?«
»Mir fällt auch nichts ein«, erwiderte ich. Es entsprach der Wahrheit. Ich war einfach noch nicht auf die Wirklichkeit programmiert. Mein Kopf schwirrte anderswo umher.
»Okay, warum versuchen wir’s nicht umgekehrt?« sagte Gotanda mit klarer, durchdringender Stimme.
»Umgekehrt?«
»Ja, lass uns da hingehen, wo extrem viel Klamauk ist. Desto ruhiger können wir uns unterhalten. Was meinst du?«
»Keine schlechte Idee. Und wohin?«
»Wie wär’s mit Shaky’s? Magst du Pizza?«
»Meinetwegen. Ich habe nichts gegen Pizza. Aber erkennt man dich dort nicht sofort? In so einem Laden?«
Gotanda lächelte matt. Wie der letzte Lichtschimmer eines Sommerabends, der durch die Blätter eines Baumes dringt. »Ist dir etwa jemals ein Prominenter bei Shaky’s über den Weg gelaufen?«
Es war Wochenende und entsprechend voll und laut in dem Lokal. Eine Dixieband in gestreiften Hemden spielte gerade The Tiger Rag, begleitet vom schrecklichen Gegröle eines besoffenen Studentenpulks. Die Beleuchtung war schummrig, niemand nahm Notiz von uns. Es roch appetitlich nach frisch gebackener Pizza. Wir gaben unsere Bestellung auf, besorgten uns zwei Bier vom Fass und fanden einen Tisch unter einer dekorativen Tiffany-Lampe ganz hinten im Lokal.
»Siehst du, ich hab’s doch gesagt. Hier ist es herrlich unkompliziert, geradezu erholsam«, sagte Gotanda.
»Allerdings«, stimmte ich ihm zu. Es war tatsächlich ein Ort, an dem man sich ungestört unterhalten konnte.
Wir tranken einige Bier und aßen heiße Pizza aus dem Ofen. Ich verspürte seit langem wieder Hunger. Auf Pizza war ich nie besonders versessen gewesen, aber als ich den ersten Bissen im Mund hatte, hatte ich das Gefühl, noch nie etwas so Köstliches gegessen zu haben. Wahrscheinlich war ich einfach nur ausgehungert. Gotanda offenbar ebenfalls, denn beide tranken und aßen wir schweigend, ohne an etwas anderes zu denken.
»Schmeckt das gut«, sagte er. »Seit drei Tagen habe ich solche Gelüste nach Pizza, dass ich schon davon geträumt habe. Wie die Pizza im Ofen brutzelt. Allerdings habe ich sie im Traum bloß angeschaut. Der Traum bestand nur aus dieser Szene – kein Anfang, kein Ende. Wie würde Jung ihn wohl deuten? Meine Interpretation lautet ganz einfach: ›Ich möchte Pizza essen.‹ Aber nun zu dir, du wolltest mir etwas erzählen?«
Jetzt war es so weit! Ich wusste nicht, wie ich beginnen sollte. Gotanda wirkte entspannt und schien den Abend zu genießen. Als ich ihn so arglos lächeln sah, brachte ich kein Wort heraus. Es ging nicht. Ich konnte mich nicht dazu überwinden. Zumindest in diesem Moment nicht.
»Wie sieht’s denn bei dir aus?«, fragte ich stattdessen. Mann, ich kann das doch nicht ewig vor mir herschieben. Aber ich hatte einfach nicht den Mut. Fand keinen Anfang. Brachte es nicht über die Lippen.
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