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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Trauer. Wenn ich sanft mit den Fingern über die Haut meiner Seele strich, fühlte sie sich rau und fremd an. Alles ging lautlos vorüber. Wie Zeichen im Sand, vom Wind verweht. Und niemand vermochte es aufzuhalten.
    Also gab es eine Leiche mehr. Ratte, May, Dick North und nun Kiki. Das waren vier. Blieben also noch zwei. Wer würde als Nächstes sterben? Der Tod steht uns allen bevor, früher oder später. Jemand wird als weißes Skelett in jenes Zimmer verfrachtet. Sonderbare Räume verschiedenster Art waren in meiner Welt miteinander verknüpft. Das Totenkabinett in Honolulu Downtown. Das dunkle, kalte Kabuff des Schafsmannes. Das sonnendurchflutete Schlafzimmer, in dem Gotanda mit Kiki am Sonntagmorgen im Bett liegt. Wie weit reicht die Wirklichkeit? Was geht in mir vor? Bin ich noch ganz richtig im Kopf? Alle möglichen Ereignisse geschahen in unwirklichen Räumen, wurden verzerrt, in die Realität gezerrt. Oder gab es etwa … gar keine Realität? Je mehr ich darüber nachdachte, desto weiter schien die Wahrheit sich mir zu entziehen. War das verschneite Sapporo im März Wirklichkeit gewesen? Es hatte so unwirklich ausgesehen. Hatte ich wirklich neben Dick North am Strand von Makaha gesessen? Auch das erschien mir jetzt irreal. Obwohl sich die Dinge so ereignet hatten, hatte ich das Gefühl, es sei nicht die echte Wirklichkeit gewesen. Wie konnte ein einarmiger Mann so perfekt Brot schneiden? Und wieso hinterließ mir ein Callgirl in Honolulu die Telefonnummer, die ich dann in dem Totenkabinett fand, zu dem Kiki mich geführt hatte? Aber das muss real gewesen sein. Denn diese Wirklichkeit existierte in meiner Erinnerung. Wenn ich an deren Echtheit zweifelte, käme mein ganzes Weltbild ins Wanken.
    Bin ich verrückt, geisteskrank?
    Oder ist es die Welt, die verrückt spielt, krank ist?
    Ich weiß es nicht. Es gibt zu viele Ungewissheiten.
    Aber wer oder was auch immer verrückt oder krank sein mochte, ich konnte diesen chaotischen Zustand nicht einfach hinnehmen, sondern musste Ordnung schaffen. Auch wenn Trauer, Zorn, Resignation im Spiel waren, ich musste einen Schlusspunkt setzen. Das war meine Aufgabe. Von allen Seiten erhielt ich Hinweise. Darum begegnete ich all diesen Menschen und wurde zu den merkwürdigsten Orten geführt.
    Na los! Es ist wieder einmal Zeit zum Tanzen. So brillant, dass alle mich bewundern. Schritt für Schritt – das ist die einzige Realität. Eine beschlossene Sache. Nicht grübeln. Das war in meinem Kopf als tausendprozentige Wirklichkeit eingraviert. Also tanzen, Gotanda anrufen und ihm die Frage stellen: »Hast du Kiki umgebracht?«
    Aber es ging nicht. Meine Hände rührten sich nicht. Allein schon vor dem Apparat zu sitzen löste ein wildes Herzklopfen aus. Ich bebte am ganzen Körper, als würde ich von einem heftigen Sturm durchgerüttelt. Das Atmen fiel mir schwer. Ich mochte Gotanda. Er war mein einziger Freund, er war ich selbst, war ein Teil meiner Existenz. Ich verstand ihn. Ich versuchte, seine Nummer zu wählen, verwählte mich jedoch mehrmals. Es gelang mir nicht, die Ziffern in die richtige Reihenfolge zu bringen. Nach dem fünften oder sechsten Fehlversuch schmiss ich den Hörer hin. Es klappte einfach nicht. Meine Tanzschritte versagten.
    Die Stille im Zimmer erdrückte mich. Auch das Klingeln des Telefons wurde mir unerträglich. Ich ging hinaus und lief durch die Stadt. Wie ein Patient während der Rehabilitation, der sich bei jedem Schritt, beim Gehen und Überqueren der Straße erst vergewissert. Ich mischte mich unter die Passanten oder saß im Park und beobachtete Leute. Ich fühlte mich schrecklich einsam. Ich hätte mich gern an etwas geklammert. Aber wohin ich auch blickte, nirgendwo fand ich Halt. Ich befand mich in einem glitschigen Labyrinth aus Eis. In einer gleißenden, hohl klingenden Finsternis. Mir war zum Weinen zumute. Aber nicht mal das ging. Nun, Gotanda war also ich selbst. Das hieß, ich war im Begriff, einen Teil meiner selbst zu verlieren.
    Es gelang mir nicht, ihn anzurufen. Er kam mir nämlich zuvor. Bevor ich es fertig brachte, mich bei ihm zu melden, kreuzte er bei mir auf.
    In jener Nacht regnete es wieder einmal. Gotanda trug denselben hellen Trenchcoat wie damals auf der Fahrt nach Yokohama, dazu einen gleichfarbigen Hut und eine Brille. Obwohl es in Strömen goss, hatte er keinen Schirm bei sich. Sein Hut tropfte. Er grinste breit, als er mich sah. Ich lächelte automatisch zurück.
    »Du siehst entsetzlich aus«, sagte er. »Da

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