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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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kurzärmliges Hemd, eine dünne Baumwollhose und Sonnenbrille. Als ich zu Yuki fuhr, pfiff ich sogar vor mich hin.
    Kuckuck!
    Unterwegs musste ich ans Ferienlager denken. Dort wurde um drei Uhr Mittagsschlaf gehalten. Ich war jedoch immer hellwach gewesen. Nun schlaf endlich, hieß es dann, aber ich konnte einfach nicht. Während die meisten tief und fest schlummerten, starrte ich eine Stunde lang die Decke an. Durch das lange Hinsehen verselbständigte sie sich, wurde zu einem eigenen Reich. Sobald ich mich dort hinbegäbe, bildete ich mir ein, würde ich in eine andere Welt eindringen, ganz anders als diese hier. Eine Welt, in der alle Werte umgekehrt und in der oben und unten vertauscht waren. Wie in Alice im Wunderland. Dieser Gedanke ließ mich damals nicht mehr los. Deshalb fällt mir immer nur die Decke ein, wenn ich mich ans Ferienlager erinnere. Kuckuck.
    Der Cederick hinter mir hupte dreimal. Die Ampel zeigte längst grün. Immer mit der Ruhe, sagte ich mir. Wenn ich rasend schnell fuhr, käme ich bestimmt an kein großartiges Ziel. Gemütlich setzte ich meine Fahrt fort.
    Der Sommer war jedenfalls da.
    Als ich bei Yuki klingelte, kam sie sofort herunter. Sie trug ein hübsch gemustertes Kleid, Sandalen und dazu eine Schultertasche aus dunkelblauem Leder.
    »Heute siehst du aber chic aus«, sagte ich.
    »Ich hab’ dir doch gesagt, dass ich um zwei eine Verabredung habe«, erwiderte sie.
    »Steht dir ausgezeichnet. Sehr edel«, sagte ich. »Macht dich gleich erwachsener.«
    Yuki lächelte nur.
    Wir gingen in ein Restaurant in der Nähe und bestellten Suppe, Spaghetti mit Lachssauce, Barsch und Salat. Kurz vor Mittag war es glücklicherweise noch leer, und das Essen schmeckte. Als kurz nach zwölf Horden von Angestellten zur Mittagspause aus den Büros strömten, verließen wir das Restaurant und fuhren los.
    »Wohin soll’s denn gehen?«, fragte ich.
    »Nirgendwohin. Fahr einfach ein bisschen durch die Gegend«, sagte Yuki.
    »Wie asozial. Reine Benzinverschwendung«, sagte ich, aber sie sprang darauf nicht an, sondern tat so, als hätte sie es nicht gehört. Na meinetwegen, dachte ich. Es ist ohnehin eine schreckliche Gegend. Wen kümmert es schon, ob die Luft noch ein bisschen mehr verschmutzt wird, die Straßen noch ein bisschen mehr verstopft werden?
    Yuki drückte auf die Play-Taste des Rekorders, in dem eine Kassette von den Talking Heads steckte. Vermutlich Fear of Music . Wann hatte ich die denn hineingeschoben? Es gab so einige Gedächtnislücken.
    »Ich will mir eine Hauslehrerin nehmen«, sagte sie. »Deshalb die Verabredung heute. Papa hat das arrangiert. Als ich sagte, ich würde gern etwas lernen, hat er sie gleich am nächsten Tag ausfindig gemacht, sie soll nett und zuverlässig sein. Es ist komisch, aber nach dem Film habe ich irgendwie Lust bekommen zu lernen.«
    »Nach welchem Film denn?«, fragte ich. »Etwa Unerwiderte Liebe?«
    »Ja, der.« Yuki wurde ein bisschen rot. »Na ja, ich finde es ja selbst komisch. Jedenfalls wollte ich danach plötzlich wieder lernen. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass dein Freund einen Lehrer gespielt hat. Als ich ihn im Film sah, fand ich ihn zwar idiotisch, aber er hatte etwas Ansprechendes. Vielleicht war er doch talentiert.«
    »Ganz meine Meinung. Er war schon begabt. Das steht fest.«
    »Hm.«
    »Aber das war natürlich nur gespielt, reine Fiktion. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Darüber bist du dir doch wohl im Klaren?«
    »Das weiß ich doch.«
    »Du hättest ihn als Zahnarzt erleben sollen. Richtig routiniert. Aber das ist nur eine Rolle, der äußere Schein, ein Image. Im wirklichen Leben geht oft alles heillos drunter und drüber, und man muss sich abstrampeln. Zu viel Sinnloses. Aber es ist schön, dass du Lust hast, etwas zu tun. Sonst kommt man mit dem Leben auch nicht zurecht. Gotanda hätte sich bestimmt darüber gefreut.«
    »Hast du ihn getroffen?«
    »Ja«, sagte ich. »Und mit ihm geredet. Es war ein sehr ausführliches Gespräch. Und sehr aufrichtig. Und dann war er tot, einfach so. Er redete mit mir und ertränkte sich daraufhin mit seinem Maserati im Meer.«
    »Ich bin schuld, nicht wahr?«
    Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Nein, du kannst nichts dafür. Niemand hat Schuld. Wenn jemand in den Tod geht, hat er einen Grund. So einfach, wie es von außen scheint, ist das nicht. Denk an eine Wurzel. Es schaut zwar nur ein kleiner Teil heraus, aber wenn man daran zieht, kommt noch einiges zum Vorschein. Das

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