Tanz mit dem Schafsmann
die Schläfen. Leute, die ihm nicht passen, lässt er in abgrundtiefe Brunnen werfen oder im Nil mit den Krokodilen um die Wette schwimmen. Intelligent und grausam. Er lässt sogar Widersachern die Augen ausstechen, um sie dann blind in der Wüste auszusetzen.
Bei diesem Gedanken glitt die Fahrstuhltür auf. Lautlos wie immer. Ich trat in die Kabine, drückte auf 15 und widmete mich weiter meinem Drehbuch. Nicht, dass ich es gewollt hätte, es war einfach nicht mehr abzustellen.
Der Schauplatz wechselt. Trostlose Wüste. In einer Höhle inmitten dieser Einöde haust ganz allein ein vom Pharao verstoßener Prophet. Ohne Augenlicht hat er die Wüste durchquert und wie durch ein Wunder überlebt. Ein Schafsfell schützt ihn vor der unbarmherzigen Sonne. Er lebt in ständiger Dunkelheit, ernährt sich von Insekten und kaut auf wildem Gras herum. Mit seinem nach innen gerichteten Blick vermag er in die Zukunft zu schauen. Er sieht den Sturz des Pharaos voraus, den Niedergang Ägyptens sowie einen weltweiten Umbruch.
Der Schafsmann, wer sonst? Wieso fiel mir in dem Zusammenhang der Schafsmann ein?
Die Fahrstuhltür glitt lautlos auf. Gedankenverloren trat ich in den Flur. Der Schafsmann – existierte der etwa schon im alten Ägypten? War das alles nicht ohnehin Quatsch? Die Hände in den Taschen, stand ich im Dunkeln und dachte darüber nach. Im Dunkeln?
Erst da bemerkte ich, dass es stockfinster war. Nicht das kleinste Fünkchen Licht. Als sich die Fahrstuhltür hinter mir schloss, war es pechschwarz um mich herum. Ich sah meine eigene Hand nicht mehr. Auch das Gedudel war verstummt. Kein Love is Blue , kein A Summer Place. Die Luft war kühl und roch modrig.
Ich stand wie versteinert in der Finsternis.
10
Gruselig, diese absolute Finsternis.
Ich kann nicht die geringsten Formen ausmachen. Nicht einmal mein Körper ist zu erkennen. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, ob da überhaupt etwas ist. Alles ist in schwarzes Nichts getaucht. In dieser totalen Finsternis scheint meine Existenz eine reine Vorstellung zu sein. Mein Körper löst sich auf. Die substanzlose Vorstellung von meinem Ich flottiert frei im Raum, wie Ektoplasma. Ich bin von meinem Körper befreit, jedoch ohne eine neue Zuflucht. Ich schwebe im Nichts. Auf dem feinen Grat zwischen Alptraum und Wirklichkeit.
Eine ganze Weile stand ich reglos da. Ich vermochte mich nicht zu rühren, meine Hände und Füße waren wie gelähmt, sie fühlten sich ganz taub an. Als wäre ich auf dem Meeresgrund ausgesetzt. Bleierne Finsternis lastete auf mir. Die Stille drückte auf mein Trommelfell. Ich versuchte die Augen ein wenig an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch es war aussichtslos. Es war so dunkel, dass keine optische Anpassung möglich war. Die totale Finsternis. So undurchdringlich, als wäre schwarze Farbe immer und immer wieder schwarz übermalt worden. Unwillkürlich griff ich in meine Taschen. In der rechten befanden sich mein Portemonnaie und mein Schlüsselbund, in der linken die Zimmer-Chipkarte, ein Taschentuch und etwas Kleingeld. Doch all das Zeug nützte mir im Dunkeln nichts. Hätte ich doch bloß nicht mit dem Rauchen aufgehört. Dann hätte ich wenigstens ein Feuerzeug oder Streichhölzer dabeigehabt. Doch Jammern half nicht. Ich zog die Hand aus der Tasche und tastete nach der Wand. Ich spürte eine harte, senkrechte Fläche. Sie war kalt und glitschig. Viel zu kalt für eine Wand im Dolphin Hotel, wo die Klimaanlage stets für eine angenehme Raumtemperatur sorgte. Reiß dich zusammen und denk nach, versuchte ich mich zu beschwichtigen.
Reiß dich zusammen und denk nach!
Nun, das ist doch haargenau die Situation, wie sie meiner jungen Freundin von der Rezeption widerfahren ist. Ich brauche also nur exakt das Gleiche zu tun. Kein Grund zur Panik. Sie ist schließlich ganz allein hier wieder heil rausgekommen. Also wird mir auch nichts passieren. Ganz bestimmt nicht. Einfach Ruhe bewahren. Ich brauche ja nur ihren Spuren zu folgen. In diesem Hotel gehen schon merkwürdige Dinge vor sich. Ob das auch etwas mit mir zu tun hat? Es gibt da zweifellos einen Zusammenhang mit dem alten Delfin. Eben deshalb bin ich hier. Ach wirklich? Ja doch. Ich muss ihre Spur aufnehmen und all das herausfinden, was sie nicht entdeckt hat.
Ängstlich?
Und wie!
Oh Mann. Das ist nicht zum Scherzen, sondern echt gruselig. Ich bin völlig ausgeliefert, als wäre ich splitterfasernackt. Ein schreckliches Gefühl. Brutale Partikel von intensiver Schwärze hüllen
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