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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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er sie aus und überhäufte sie mit Komplimenten, pries jeden Teil ihres Körpers. Es war ernst gemeint. Oh Mann! Ich war beeindruckt, aber auch stinkwütend. Es war einfach nicht richtig.
    Der Korridor bog nach rechts ab.
    Ich wandte mich nach rechts und tastete mich an der Wand entlang. Ganz hinten war ein schwaches Licht erkennbar. So schwach, als würde es durch mehrere Schleier gefiltert. Genau, wie sie gesagt hatte.
    Mein Klassenkamerad bedeckt ihren Körper mit zärtlichen Küssen. Zentimeter für Zentimeter, Nacken, Schultern, Brüste … Die Kamera ruht auf seinem Gesicht und ihrem Rücken. Dann schwenkt sie herum. Jetzt sieht man ihr Gesicht. Doch es ist gar nicht sie. Es ist Kiki! Kiki, das Edel-Callgirl mit den phantastischen Ohren, mit der ich damals im Hotel Delfin übernachtet habe. Kiki, die ohne ein Wort aus meinem Leben verschwand. Es ist also Kiki, die mit meinem Klassenkameraden schläft. Es wirkte tatsächlich wie eine Filmszene. Perfekte Einstellung. Ein bisschen zu perfekt. Man könnte auch sagen, banal. Sie lieben sich im Zimmer eines Apartments. Durch die Jalousien dringt Licht herein. Kiki. Wieso taucht plötzlich sie hier auf? Zeit und Raum geraten durcheinander.
    Zeit und Raum geraten durcheinander.
    Ich gehe dem Licht entgegen. Während ich voranschreite, erlischt das Bild in meinem Kopf.
    Fade out.
    Ich taste mich in der totenstillen Finsternis an der Wand entlang. Versuche, an nichts mehr zu denken. Es hätte auch überhaupt keinen Sinn. Denken dehnt nur die Zeit, weiter nichts. Bar jedes Gedankens verfolge ich meinen Weg. Vorsichtig, aber bestimmt. Ein schwacher Lichtschimmer. Es ist jedoch nicht zu erkennen, woher er stammt. Da ist lediglich eine Tür. Eine unbekannte Tür. Ja, genau wie sie gesagt hatte. Eine alte Holztür. Mit einer Nummer auf einem Schild. Die Zahlen kann ich allerdings nicht lesen. Es ist zu dunkel und das Schild stark verschmutzt. Trotzdem weiß ich, das ist nicht im Dolphin Hotel. Hier gibt es keine alten Türen. Auch die Luft ist völlig anders. Und dann dieser Geruch. Was ist das? Es riecht irgendwie nach Altpapier. Das Licht flackert hin und wieder. Vielleicht eine Kerze.
    Ich bleibe vor der Tür stehen und beobachte eine Weile das Licht.
    Da kommt mir wieder meine Freundin von der Rezeption in den Sinn. Ich hätte neulich doch mit ihr schlafen sollen. Wer weiß, ob ich jemals wieder in die reale Welt zurückkehren würde? Und ob sie sich dann noch mal mit mir verabreden würde. Ich war eifersüchtig auf die reale Welt und ihren Schwimmverein. Oder vielleicht war es gar keine Eifersucht. Vielmehr ein Gefühl des Bedauerns, ein aufgeblähtes, verzerrtes Bedauern. Doch worauf es hinauslief, war natürlich blanke Eifersucht. Zumindest in der Dunkelheit nimmt es sich so aus. Weshalb verspüre ich hier Eifersucht? Wie lange mag es her sein, dass ich so etwas empfunden habe? Ich bin ein Mensch, der ganz selten zu Eifersucht neigt. In dieser Hinsicht bin ich wirklich ein Einzelgänger. Doch jetzt bin ich richtig außer mir vor Eifersucht. Besonders auf den Schwimmverein.
    So ein Quatsch. Wer ist schon eifersüchtig auf einen Schwimmkurs? Das habe ich noch nie gehört.
    Ich schluckte. Es hallte so laut, als würde ein metallener Baseballschläger auf ein Ölfass dröhnen. Obwohl es nur Spucke war.
    Es hallte gespenstisch. Genau wie sie gesagt hatte. Ach ja, jetzt musste ich anklopfen. Nun mach schon! Ich riss meinen Mut zusammen und wagte ein leises Klopfen. So leise, dass es eigentlich kaum zu vernehmen war. Doch es klang bombastisch. Schwer und kalt wie der Tod. Ich hielt den Atem an.
    Stille. Genau wie bei ihr neulich. Schwer zu sagen, wie lange es dauert. Vielleicht fünf Sekunden, vielleicht eine Minute. Im Dunkeln ist Zeit nicht genau bestimmbar. Die Zeit schwankt, zieht sich in die Länge, schrumpft. Mit mir geschieht das Gleiche: In der Stille schwanke ich, ziehe mich in die Länge, schrumpfe. Mein Ich verformt sich genauso wie die Zeit. Als befände ich mich in einem Spiegelkabinett.
    Ich vernehme jenes Geräusch. Ein Rascheln. Ungewöhnlich laut. Etwas richtet sich vom Boden auf. Dann Schritte. Sie kommen näher. Das Schlurfen von Pantoffeln. Irgendetwas regt sich, aber kein menschliches Wesen . Genau wie sie gesagt hatte. Das sind keine menschlichen Schritte. Irgendein Ungetüm. Etwas, das es in der Realität nicht gibt, das aber hier existiert.
    Ich rannte jedoch nicht weg. Schweiß lief mir den Rücken hinunter, das spürte ich. Doch je näher

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