Tanz mit dem Schafsmann
Der Himmel schien das Ende der Welt zu verkünden. Während ich meinen Kaffee trank, las ich mir bestimmt fünfzehnmal die Frühstückskarte durch. Ich hatte immer noch diese Starre im Kopf. Der Zug begann wieder zu rasen. Das Pfeifsignal ertönte. Die Starre fühlte sich an wie hart getrocknete Zahnpasta. Um mich herum verschlangen die Leute eifrig ihr Frühstück. Sie streuten Zucker in ihren Kaffee, butterten ihre Toasts, aßen mit Messer und Gabel Eier und Schinken. Das Besteck klirrte unablässig auf den Tellern: klong … klong … klong. Wie auf einem Rangierbahnhof.
Ich musste an den Schafsmann denken. Er existiert auch jetzt in diesem Augenblick. Irgendwo in diesem Hotel, in einem raumzeitlich verzerrten Winkel. Ja, es gibt ihn wirklich. Er scheint mir etwas mitteilen zu wollen, doch vergeblich. Ich kann es nicht erfassen. Die Geschwindigkeit ist zu hoch. Mein Geist ist eingefroren, und ich kann die Zeichen nicht lesen. Lesbar ist nur das, was sich nicht bewegt. Continental Breakfast A: Saft (Orange, Grapefruit oder Tomate) bzw. … –
Jemand spricht mich an und erwartet eine Antwort von mir. Wer? Ich blicke auf. Vor mir steht der Ober im weißen Jackett und hält mit beiden Händen die Kaffeekanne. Als hielte er einen Pokal. »Möchten Sie noch etwas Kaffee?«, fragt er höflich. Ich schüttle den Kopf. Als er weg war, stand ich auf und verließ das Restaurant. Klong … klong … klong. Das Klirren der Bestecke hallte noch eine Weile hinter mir her.
Ich ging aufs Zimmer und nahm ein zweites Bad. Diesmal bekam ich keinen Schüttelfrost mehr. Ich streckte mich behaglich in der Wanne aus, und mit der Zeit lockerten sich meine Gelenke, so, wie sich ein verheddertes Knäuel entwirrt. Bis zu den Fingerspitzen ließ sich alles wieder bewegen. Ja, so fühlte sich mein Körper an. Ich bin im Hier und Jetzt. In einem realen Zimmer, in einer realen Wanne. Und nicht in einem Schnellzug. Es gibt auch keine Hupsignale. Ich brauche keine Stationsnamen mehr zu entziffern. Ich muss an nichts mehr denken.
Ich stieg aus der Wanne und kroch unter die Bettdecke. Als ich auf die Uhr schaute, war es schon halb elf. Na großartig! Ich überlegte, ob ich statt zu schlafen lieber einen Spaziergang machen sollte. Doch während ich noch hin und her überlegte, übermannte mich der Schlaf. Von einem Augenblick zum nächsten, wie ein Szenenwechsel bei verdunkelter Bühne. Ich spürte ganz genau den Moment, in dem mein Bewusstsein wegsackte. Ein riesiger grauer Affe, der sich klammheimlich ins Zimmer gestohlen hatte, schlug mir mit einem Hammer von hinten auf den Kopf. Wie ohnmächtig sank ich in einen tiefen Schlaf.
Ein harter, fester Schlaf. Zu dunkel, um etwas zu erkennen. Kein Hintergrundgedudel. Kein Moon River, kein Love is Blue. Ein simpler, schnörkelloser Schlaf. »Was kommt nach 16?« »41«, antwortete ich. Der graue Affe rief: »Er ist eingeschlafen.« Ja, ich schlafe. Zusammengerollt wie ein Eichhörnchen schlafe ich tief in einer soliden Stahlkugel. Eine Stahlkugel, wie man sie zum Abreißen von Häusern benutzt. Innen hohl. In diesem Hohlraum schlafe ich. Hart und fest und simpel …
Etwas ruft nach mir.
Das Hupsignal?
Nein, falsch! krächzen die Möwen.
Jemand versucht, mit einem Schweißbrenner die Kugel aufzuschneiden. So klingt es jedenfalls. Nein, wieder falsch, krächzen die Möwen im Chor. Wie in der griechischen Tragödie.
Das Telefon, denke ich.
Die Möwen sind auf einmal verschwunden. Niemand reagiert. Wieso sind die Möwen weg?
Ich griff nach dem Telefon auf dem Nachttisch. »Ja?«, meldete ich mich. Doch es war nur das Freizeichen zu hören. Biiiiiiiiiiiiiii. Der Ton kam von anderswo her. Die Türklingel. Jemand drückte auf den Summer: Biiiiiiiiiiii.
»Die Türklingel«, sagte ich laut.
Doch die Möwen waren verschwunden. Niemand sagte »Bravo« und applaudierte mir.
Biiiiiiiiiiiiiii .
Ich warf mir einen Bademantel über und ging zur Tür. Ohne nachzufragen, wer da sei, machte ich auf. Meine Freundin von der Rezeption huschte herein und schloss die Tür hinter sich.
Mir brummte der Schädel. Der graue Affe hätte ruhig etwas sanfter zuschlagen können.
Verdammt. Es fühlte sich an wie eine Beule.
Stirnrunzelnd musterte sie meinen Bademantel und mein Gesicht.
»Wieso schläfst du nachmittags um drei?«, fragte sie.
»Nachmittags um drei«, plapperte ich ihr nach. Ich wusste im Moment selbst nicht, warum. »Ja, wieso eigentlich?«
»Wann bist du denn ins Bett gegangen?«
Ich versuchte
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